Im Ukraine-Krieg ist auch das Hackerkollektiv Anonymous aktiv; eine lose internationale Gruppe von sogenannten Hacktivistinnen und Hacktivisten, die sich in Systeme hackt, um politische Ziele zu erreichen. «Anonymous» sagt von sich selbst, man habe verschiedene erfolgreiche Aktionen gegen Russland durchgeführt – etwa das Kapern russischer Fernsehsender, um Kriegsbilder zu zeigen, oder das Lahmlegen staatlicher Websites. Sanija Ameti kennt sich aus mit Cybersicherheit und internationalem Recht und klärt in dem Zusammenhang einige Begriffe.
SRF News: Was bedeutet es aus rechtlicher Sicht, wenn Anonymous Russland quasi den Cyberkrieg erklärt?
Sanija Ameti: Aus rechtlicher Sicht muss man festhalten, dass einen Krieg – auch einen Cyberkrieg – nur Staaten erklären können, nicht irgendwelche Privatpersonen oder Gebilde wie Anonymous. Wichtig ist zudem, dass es für einen Krieg ein Mindestmass an Gewaltanwendung braucht.
Wir sprechen völkerrechtlich nie von einem Cyberwar, sondern von einem hybriden Krieg.
Wir sprechen hier von der Zerstörung von Objekten oder dem Verlust von Menschenleben. Und weil Cyberoperationen grundsätzlich nicht geeignet sind, diese Gewaltschwelle zu erreichen, gibt es den Cyberkrieg an sich nicht. Das heisst, wir sprechen völkerrechtlich nie von einem Cyberkrieg, sondern von einem hybriden Krieg.
Könnte ein Hackerangriff diese Hürde der Gewaltanwendung nicht doch nehmen, zum Beispiel wenn Infrastruktur zerstört wird?
Selbst in diesem sehr unwahrscheinlichen Fall, dass ein Hacker mit einer Cyberoperation Infrastruktur tatsächlich zerstört, so ist er immer noch keine Kriegspartei. In einem Krieg wie dem zwischen Russland und der Ukraine wird im humanitären Völkerrecht zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten unterschieden. Zu Letzteren gehören Zivilisten ebenso wie Hacker, wenn sie nicht zu einer Streitkraft gehören.
Wer sich als Nichtkombattant trotzdem an einem Krieg beteiligt – das heisst, wenn jemand von Anonymous zum Beispiel Infrastruktur zerstört – wird er nach Strafrecht dafür bestraft. Wenn aber eine Privatperson von einem Staat beauftragt wird, einen Cyberangriff durchzuführen, der dann zu Zerstörungen führt, dann würde die Handlung des Privaten dem Staat zugerechnet. Dann wäre es eine zwischenstaatliche Kriegshandlung.
Ist diese Unterscheidung nicht auch problematisch?
Ja, da gewisse Staaten wie Russland und China zum Beispiel bewusst Private einsetzen, damit diese Schaden anrichten im Cyberspace. Dann sagen sie zwar: Wir sind nicht schuld, das sind Private, die das getan haben. Aber dahinter verbirgt sich ein Auftrag des Staates. Das Problematische an dem Ganzen ist, dass man schlecht nachweisen kann, dass zum Beispiel der Kreml dahinter steckt, wenn er private Kriminelle beauftragt, gewisse Handlungen im Cyberraum durchzuführen.
Müsste das humanitäre Völkerrecht angepasst werden?
Juristinnen und Juristen versuchen schon seit längerem, das Völkerrecht und auch das humanitäre Völkerrecht auf den Cyberraum anzuwenden. Es gibt aber zwei Probleme. Zum einen lässt sich das bestehende Recht nicht einfach so auf Cyberoperationen anwenden, weil die Gewaltanwendung nicht gleich funktioniert wie bei physischen Angriffen.
Bis heute fehlt es an einem Staatenkonsens, dass man die Genfer Konventionen im Cyberraum anwenden will.
Und das zweite ist, dass es bis heute an einem Staatenkonsens fehlt, dass man die Genfer Konventionen und die einzelnen Normen der Genfer Konventionen im Cyberraum anwenden will. Das heisst, man müsste den Vertrag aktualisieren, und dafür braucht es die Zustimmung aller Staaten, die die Genfer Konventionen ratifiziert haben.
Das Gespräch führte Sandro Della Torre.