Das russische Militär hat laut der russischen Nachrichtagentur Interfax für heute Montag Morgen eine Waffenruhe geplant, um humanitäre Korridore für die Städte Kiew, Mariupol, Charkiw und Sumy zu öffnen. Doch viele Experten sind skeptisch – sie werten die Ankündigung als böses Omen.
Was bringt ein humanitärer Korridor? Ein humanitärer Korridor ermöglicht, dass, wo die Zivilbevölkerung in Not ist, Hilfsgüter geliefert und Zivilisten abziehen können.
Wie sind die Korridore rechtlich geregelt? Das humanitäre Völkerrecht verpflichtet unabhängig solcher Korridore alle Konfliktparteien, die Zivilbevölkerung zu schützen. Daneben können sich Kriegsparteien auch darauf einigen, Verwundeten- oder Hilfstransporte entlang von Korridore durch anerkannte humanitäre Akteure wie Hilfsorganisationen nicht zu behelligen. Eine unabhängige Instanz, die die Achtung der humanitären Korridore durchsetzen könnte, gibt es nicht.
Welche Resultate wurden bisher erzielt? Russland und die Ukraine hatten vereinbart, einen humanitären Korridor in der Region um die südukrainische Hafenstadt Mariupol einzurichten. Doch sowohl am Samstag als auch am Sonntag warfen sich beide Seiten gegenseitig eine Verletzung der den Korridor flankierenden Feuerpause vor. Nachdem laut Angaben der prorussischen Separatisten bloss einige hundert Menschen über die geplante Route in Sicherheit gebracht worden waren, wurden die Evakuierungen deshalb wieder ausgesetzt.
Wie beurteilen Experten die humanitären Korridore? Das Internationale Rote Kreuz begrüsst solche Korridore zum Schutz der Zivilbevölkerung. Sie müssten aber «sehr gut geplant, sehr gut koordiniert und sehr gut kommuniziert sein». Nach Ansicht des früheren Nato-Generals Egon Ramms birgt eine den Korridor schützende Feuerpause allerdings auch die Gefahr, dass eine Seite militärische Operationen vorbereite. Dann gebe es die Möglichkeit, ohne eine relative Bedrohung der anderen Seite «Kräfte umzugruppieren oder Kräfte nachzuführen».
Schwarz malen Medien, wie etwa der deutsche «Stern»: «Unfreiwillig sind sie (humanitäre Korridore, d. Red.) ein Eingeständnis der ukrainischen Regierung in bevorstehende Niederlagen. Sie bedeutet nichts anders, als dass die ukrainischen Truppen die Zuwege zu grossen Städten nicht werden freihalten können. (...) Dann bleibt ein Zugang für Versorgungsgüter frei, über den Zivilsten fliehen können. Doch wird es keinen Zufluss von Munition, Nachschub oder Treibstoff für die Verteidiger mehr geben.» Die Wiener Zeitung «Der Standard» schreibt: «Kann die Zivilbevölkerung sicher abziehen, haben Russlands Truppen freie Bahn. Bleiben Zivilisten aber genau aus diesem Kalkül dort, so kann Putin zumindest auf die humanitären Korridore verweisen. Oder sogar behaupten, dass jene, die zurückgeblieben sind, dem «neonazistischen Regime» in Kiew angehören würden.»
Putin kann auf die humanitären Korridore verweisen. Oder sogar behaupten, dass jene, die zurückgeblieben sind, dem «neonazistischen Regime» in Kiew angehören würden. Das ist Krieg in seiner zynischsten Ausprägung.»
Nehmen die Korridore Schlimmstes vorweg? Schon früher forderte Russland lokale Bevölkerungen auf, ein umkämpftes Gebiet zu verlassen – mit teils verheerenden Folgen. In der nordsyrischen Rebellen-Hochburg Aleppo kam es 2016 immer wieder zu mehrtägigen Feuerpausen. Später folgten schwere Angriffe der syrischen Truppen und massive Luftschläge der russischen Verbündeten. Und so war es auch 1999 in Grosny, der Hauptstadt der seinerzeit abtrünnigen russischen Teilrepublik Tschetschenien. Wenig später nach dem Aufruf der Bevölkerung, die Stadt zu verlassen, wurde diese flächendeckend bombardiert, die Infrastruktur komplett zerstört.