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Krieg in der Ukraine Ist Russland unter Putin ein faschistischer Staat?

Wladimir Putin sei ein «lupenreiner Demokrat», sagte der frühere deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder 2004 und hielt auch 2012 daran fest. Der ehemalige US-Präsident George W. Bush erkannte eine Seelenverwandtschaft mit dem Kremlchef. Dieser wurde auch nach dem Georgien-Krieg 2008 noch gerne hofiert – erst mit der Krim-Annexion 2014 kam eine gewisse Distanz. Mit dem Angriff auf die Ukraine ist Putin nun bei den meisten westlichen Politikerinnen und Politikern zum Feind geworden. Der Slawist Ulrich Schmid von der Universität St. Gallen erklärt den Wandel.

Ulrich Schmid

Professor für Osteuropastudien

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Ulrich Schmid ist seit 2007 Professor für Kultur und Gesellschaft Russlands an der Universität St. Gallen. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen Nationalismus in Osteuropa und russische Medientheorien.

SRF News: Hat der Westen Putin falsch gelesen oder wandelte er sich allmählich zum Diktator?

Ulrich Schmid: Putin hat sich radikalisiert. Er interessierte sich in den letzten Jahren nicht mehr für das politische Tagesgeschäft und überliess Wirtschaft und Innenpolitik Technokraten.

Wir haben Putin als Ideologen unterschätzt.

Viele belächelten den selbsternannten Chefhistoriker, der sich immer öfter mit tendenziösen Traktaten meldete. Was wir heute sagen müssen: Wir haben Putin als Ideologen unterschätzt.

Gibt es in Putins Quellen einen roten Faden?

Putin hat sich dort bedient, wo er das Passende gefunden hat. Zentrum seiner Ideologie ist die religiös verklärte Einheit eines dreifaltigen Russlands mit Belarus und der Ukraine. Das ist zu bedenken, wenn wir jetzt gebannt auf die Ukraine schauen. In Belarus ist eine stille Invasion passiert.

Putin will also Belarus und die Ukraine?

Er will das, wie er sagt, historische Russland mit einer tausendjährigen Staatlichkeit wieder zusammenführen. Das meinte er im berühmten Zitat von der «grössten geopolitischen Katastrophe des 20. Jahrhunderts». Nun möchte er als Sammler der russischen Länder in die Geschichtsbücher.

Inwiefern spielt eine Antipathie gegenüber den westlichen Demokratien mit?

Putin betrachtet das westliche Modell von Liberalismus als Auslaufmodell. Nach seinen Worten muss sich die russische Staatlichkeit auf autoritäre Modelle stützen. Er sieht sich als Garant dieser Staatlichkeit, die in der Russischen Föderation bedroht ist: Sie besteht aus 85 sehr unterschiedlichen Subjekten und hat mehr als 145 Völkerschaften.

Man hört immer wieder, Putin sei ein Faschist. Sehen Sie das auch so?

Nein, das greift zu kurz, auch wenn der Gedanke naheliegt. Der italienische Schriftsteller und Politiker Ignazio Silone sagte einst, wenn der Faschismus wiederkomme, werde sich dieser als Antifaschismus vorstellen. Das jetzige russische System einfach als faschistisch zu bezeichnen, ebnet wohl mehr ein, als dass wir Konturen erkennen können. Frühere Konzeptualisierungen wiesen darauf hin, dass Putin kein Diktator wie Stalin sei, sondern mehr Schiedsrichter zwischen Interessengruppen. Laut anderen Politologen funktioniert der russische Staat wie ein Politbüro 2.0 – mit verschiedenen staatlichen und nicht staatlichen Akteuren.

Kommen nun Ukraine und Belarus näher zu Russland – und das war's? Oder geht es noch weiter?

Im Moment stützt sich Putin auf ostslawische Einheitsvorstellungen, in denen auch die orthodoxe Kirche eine wichtige Rolle spielt. Für ihn ist die Einheit von Russland, Belarus und der Ukraine wohl der innerste Kern seiner Ideologie.

Putin will die sowjetische Integration in unterschiedlichen Projekten in konzentrischen Kreisen wiederherstellen.

Er möchte zugleich die seit 2015 bestehende Eurasische Wirtschaftsunion in eine Eurasische Union weiterentwickeln und ein von Russland angeführtes Verteidigungsbündnis nach dem Modell der Nato. Putin will die sowjetische Integration in unterschiedlichen Projekten in konzentrischen Kreisen wiederherstellen.

Das Gespräch führte Beat Soltermann.

Echo der Zeit, 15.03.3022, 18:00 Uhr ; 

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