Vor fünf Tagen hat der Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine begonnen, überall im Land wird von teils heftigen Kämpfen mit der ukrainischen Armee berichtet. Und auch die Zivilbevölkerung macht sich bereit, sich den Russen in den Weg zu stellen – auch wenn Angst und Not immer grösser werden, wie NZZ-Sonderkorrespondent Ulrich Schmid berichtet.
SRF News: Sie befinden sich derzeit einige Fahrstunden südwestlich von Kiew – wie ist die Situation bei Ihnen vor Ort?
Ulrich Schmid: Die Lage ist ebenso angespannt wie überall im Land. Die Menschen sind hin- und hergerissen. Auf der einen Seite sehe ich dieses absolute Entsetzen und die Ungläubigkeit darüber, dass der Krieg jetzt tatsächlich begonnen hat.
Ich sehe absolutes Entsetzen und Ungläubigkeit darüber, dass der Krieg jetzt tatsächlich begonnen hat.
Auf der anderen Seite stelle ich einen grossen Widerstandsgeist in der Bevölkerung fest. Überall in den Dörfern sieht man Menschen dabei, Sandsäcke zu füllen und aufzuschichten. Das ganze Volk macht sich bereit zum Widerstand gegen die russische Invasion.
Gibt es da Unterschiede – je nach Alter der Menschen?
Nein. Die Menschen hier im Südwesten des Landes waren schon immer gegen Russland, entsprechend beteiligen sich auch die Älteren an den Verteidigungsmassnahmen. Und die Jungen machen sowieso euphorisch mit.
Der Widerstandsgeist der Ukrainer ist unglaublich.
Der Widerstandsgeist ist unglaublich. In jedem Dorf sieht man Dutzende und Hunderte Menschen an der Arbeit, die sich bereit machen, sich den Russen entgegenzustellen. Alle ziehen am gleichen Strang.
Der Westen hat die Sanktionen gegen Russland verschärft und Waffenlieferungen an die Ukraine versprochen. Wie kommt das an?
Bei den meisten kommt das relativ gut an. Wer ein bisschen Ahnung hat, stellt fest, dass die Sanktionen weit über das hinausgehen, was bisher getan wurde. Doch manche sagen, es bräuchte noch viel mehr.
Es braucht vor allem Waffen, damit die Menschen nicht mit Fäusten auf die Panzer losgehen müssen.
Die Menschen brauchen Medikamente, Wasserreinigungsanlagen oder Generatoren – man könnte den Ukrainern jetzt unendlich viel liefern, um ihnen zu helfen. Doch sie brauchen vor allem Waffen, damit sie nicht mit den Fäusten auf die russischen Panzer losgehen müssen.
Link zum Krieg in der Ukraine:
Wie blicken Sie auf die nächsten Tage, wie es in der Ukraine weitergehen könnte?
Die ukrainische Gegenwehr hat die Russen wohl überrascht – die Luft im Kreml dürfte etwas dicker geworden sein. Man hat dort wohl eher mit einer Art Blitzkrieg gerechnet, was jetzt aber eindeutig nicht der Fall ist. Für die Zukunft bin ich aber ausserordentlich pessimistisch.
Die Ukrainer werden sich heftig wehren – das ist das Rezept für einen langen, blutigen und schrecklichen Krieg.
Ich glaube nicht, dass Putin jetzt quasi «April, April» sagen kann und sich zurückzieht. Ich glaube auch nicht, dass es rasch einen guten Waffenstillstand geben wird. Viel eher wird Russland die Invasion weiterführen – und die Ukrainer werden sich dagegen heftig wehren. Das ist das Rezept für einen langen, blutigen und schrecklichen Krieg.
Das Gespräch führte Susanne Stöckl.