Ein trauriger Tag: Seit drei Monaten herrscht Krieg in der Ukraine. Der deutsche Schriftsteller Christoph Brumme lebt seit sechs Jahren in Poltawa in der Ukraine. Er erzählt, wie es ist, mit dem Krieg zu leben.
SRF News: Wie geht es Ihnen, nach drei Monaten Krieg?
Christoph Brumme: Mir selbst geht es im Moment relativ gut. Vor zwei Stunden wurde Luftalarm ausgelöst. Eigentlich müssten wir jetzt alle im Luftschutzbunker sein, aber die meisten Menschen ignorieren das, ich auch.
Hat man sich schon ein bisschen an Luftalarme gewöhnt?
Gewöhnt ist nicht das richtige Wort. Man ist immer wieder besorgt, wenn Luftalarm ausgelöst wird. Man weiss, dass dann akute Gefahr besteht. Andererseits: Die mathematische Wahrscheinlichkeit, getroffen zu werden, ist nicht so hoch. So versucht man, sich in Fatalismus einzuüben.
Wie sieht Ihr Alltag aus, falls man überhaupt von Alltag sprechen kann?
Bis Mittag arbeite ich meistens genau wie früher. Nachmittags versuche ich, humanitären Hilfsorganisationen zu helfen. In der letzten Woche konnten wir einem Kind helfen, das in wenigen Tagen in einen lebensbedrohlichen Zustand geraten wäre, wenn es keine sehr teuren Medikamente aus dem Westen bekommen hätte. Ich versuche, Hilfstransporte mit Medikamenten und wichtigen Produkten aus Deutschland zu organisieren.
Ständig bangt man um die Freunde, die an den Fronten kämpfen.
Es gibt viele Gespräche über den Krieg. Ständig bangt man um die Freunde, die an den Fronten kämpfen. Das ist unser Alltag.
Findet noch ein «normales Leben» statt?
Natürlich. Ich treffe jeden Tag Freunde und Bekannte und gehe abends meistens in den Tiergarten und führe Interviews. Alltagsleben findet insofern selbstverständlich statt. Restaurants sind geöffnet, viele Geschäfte sind geöffnet und auf den Feldern in der Landwirtschaft wird auch gearbeitet.
Nun dauert der Krieg schon drei Monate. Wie hat sich das Leben verändert?
Am Anfang war der Schock sehr gross, den man empfunden hat. Besonders, da die Russen versucht haben, mit Bodentruppen zu unserer Stadt durchzustossen.
Poltawa konnte relativ erfolgreich verteidigt werden.
Zum Glück konnten sie abgewehrt werden. Poltawa konnte relativ erfolgreich verteidigt werden. Luftalarm wegen Raketenbeschüssen sind ein Risiko, aber man kann sich an das Grauen des Krieges nicht gewöhnen. Man kämpft jeden Tag mehrmals mit den Tränen. Man sieht Menschen auf der Strasse, die weinen. Daran gewöhnt man sich nicht. Dass man abstumpfen könnte, ist ein Klischee.
Wie stark ist Poltawa zerstört worden?
Poltawa ist mehrmals mit Raketen beschossen worden, aber wie gross die Schäden sind, darf ich nicht öffentlich sagen. Der mir am nächsten gelegene Raketeneinschlag war etwa 500 Meter entfernt, aber ich habe ihn nicht mitbekommen.
Wieso dürfen Sie nicht sagen, wie gross die Schäden sind?
Weil die Feinde lernen könnten, wie sie das nächste Mal besser zielen. Wenn die Russen ein Zielobjekt knapp verfehlt haben und man würde öffentlich machen, dass es keine grossen Schäden gegeben hat, könnten sie es gleich nochmals versuchen. Wir möchten dem Feind so wenige Informationen wie möglich liefern.
Sie haben in einem früheren Gespräch mit Radio SRF gesagt, Sie könnten es nicht mit Ihrem Gewissen vereinbaren, die Ukraine zu verlassen. Wie sehen Sie Ihre Zukunft im Moment?
Ich werde natürlich hierbleiben. Das Gewissen war am Anfang ein starker Faktor. Ich konnte meine Freunde in der Not nicht verlassen. Dann habe ich gemerkt, dass es mich auch als Autor reizt, hierzubleiben, weil sich mir spannendes Material zum Schreiben bietet. Ausserdem kann ich humanitäre Hilfe leisten und Menschen helfen.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.