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Luzia Tschirky: «Die Situation ist sehr surreal»
Aus SRF News vom 24.02.2022.
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Krieg in der Ukraine «Putin plant vollständige Okkupation»

Lange Autokolonnen rollen in der Ukraine derzeit in Richtung Westen: Zahlreiche Menschen wollen sich nach dem Angriff Russlands in Sicherheit bringen. SRF-Russland-Korrespondentin Luzia Tschirky hat die ersten Explosionen in Kiew hautnah miterlebt und beschreibt die Situation vor Ort als «surreal».

Luzia Tschirky

Russland-Korrespondentin

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Luzia Tschirky ist SRF-Korrespondentin für die Region Russland und die ehemalige UdSSR.

SRF News: Wie haben Sie die Lage in den vergangenen Stunden erlebt?

Luzia Tschirky: Ich habe eine schlaflose Nacht hinter mir. Ich war in meinem Hotelzimmer, als am frühen Morgen – um 5 Uhr Kiewer Zeit – über russische Agenturen die Meldung kam, dass Wladimir Putin zum Schutze des Donbass, wie er es genannt hat, eine militärische Aktion starten würde.

Kurz darauf waren auch schon Explosionen zu hören. Es war eine sehr surreale Situation, denn gleichzeitig hat man auch Vögel zwitschern gehört. Die Menschen versuchen jetzt, aus Kiew herauszukommen und in Richtung Westen der Ukraine zu fahren, weil sie hoffen, dort in Sicherheit zu sein.

Wie gehen die Menschen in der Ukraine mit der Situation um?

Als ich meinen Schlüssel an der Hotelrezeption abgegeben habe, hat mich die Frau hinter dem Tresen perplex angesehen und gefragt, was ich denn jetzt tun würde. Was sie denn tun würde, wollte ich wissen. Sie meinte, sie wolle eigentlich in Kiew bleiben, sie habe ihr ganzes Leben in Kiew gelebt. Und als ich hier für ein Fernseh-Statement meine Kamera aufgestellt habe, hielt eine Frau mit dem Auto an. Sie fragte mich, ob ich denn nicht Angst habe. Sie wünsche sich so sehr Frieden.

Mit der Invasion Russlands ist ein Albtraum wahr geworden.

Diese zwei Stimmen zeigen die Stimmung in der Ukraine gut. Mit der Invasion Russlands ist ein Albtraum wahr geworden. Ich glaube, für jemanden in der Schweiz ist nicht nachvollziehbar, was die Menschen hier gerade erleben.

Was wissen Sie zur Stunde über den Angriff Russlands auf die Ukraine?

Was ich in Kiew selbst erlebt habe: Ich konnte ungefähr abschätzen, aus welcher Himmelsrichtung diese Explosionen zu hören waren. Sie waren nicht im Zentrum von Kiew, sondern ausserhalb. Zum einen in Richtung des Flughafens. Zum anderen Richtung Norden, also auch Richtung belarussische Grenze. Das ergäbe durchaus Sinn.

Inwiefern?

In Richtung Grenze zu Belarus hat die ukrainische Armee mehrere wichtige Militärbasen, beispielsweise auch ein wichtiges Militärtrainingsgelände. Dieses könnte Ziel der russischen Armee gewesen sein.

Ich habe heute Morgen auch mit einer Bekannten in Mariupol telefoniert, einer Hafenstadt ganz in der Nähe der von Russland kontrollierten Gebiete. Plötzlich waren im Hintergrund Explosionen zu hören. Aufgrund der Lage von Mariupol spekulierten Militärexperten schon länger, dass diese Stadt von Russland eingenommen werden könnte. So hätten sie einen Zugang in die Ukraine, der dann auch die Krim mit den bisher von Russland kontrollierten Gebieten verbinden würde.

Wie begründet Präsident Putin seinen Angriff?

In seiner Rede heute hat Wladimir Putin erklärt, es gehe um den Schutz des Donbass. Doch Kiew ist nicht Teil des Donbass. Und es ist nicht ersichtlich, wovor Putin den Donbass beschützen möchte. Die Gefahr ging von Anfang an von der russischen Regierung aus.

Arbeiter laden in Kiew die Trümmer einer Rakete auf einen Lastwagen.
Legende: Teils uniformierte Ukrainer laden in Kiew die Trümmer einer Rakete auf einen Lastwagen. Keystone

Was könnte Putins Ziel sein?

Putins Ziel dürfte die Einnahme der Ukraine sein. Anders kann ich mir nicht erklären, weswegen so viele Punkte in der Ukraine von der russischen Armee unter Beschuss geraten. Hier ist eine vollständige Okkupation der Ukraine geplant.

Der Westen wird die Sanktionsschraube noch einmal massiv zudrehen. Er möchte Russland möglichst von den westlichen Geldflüssen abschneiden. Lässt sich Präsident Putin davon nicht beeindrucken?

Seit der Rede Putins gehe ich tatsächlich nicht davon aus, nein. Diese Rede war für mich derart surreal, derart ohne jegliche Fakten, dass ich mir schlecht vorstellen kann, von welcher Realität sich Wladimir Putin noch beeindrucken liesse.

Möglicherweise könnte man über sein persönliches Umfeld noch Druck auf Putin ausüben.

Möglicherweise könnten ihn Sanktionen gegen die Profitierenden seiner Günstlingswirtschaft treffen. Massnahmen gegen sein persönliches Umfeld könnten dort vielleicht für Missstimmung sorgen, sodass jene Personen versuchen würden, Putin ins Gewissen zu reden. Das ist so der einzige Punkt, über den man vielleicht noch in irgendeiner Weise Druck auf Putin ausüben könnte.

Was müsste der Westen jetzt noch tun, damit sich Präsident Putin in dieser kriegerischen Offensive noch in irgendeiner Form bremsen liesse?

Die Menschen hier können sich nicht vorstellen, wie man Wladimir Putin noch aufhalten kann. Sie hätten sich in den vergangenen Jahren eine grössere Unterstützung gewünscht. Wenn man jetzt Waffen in die Ukraine liefert, hat man noch nicht das Personal, das diese Waffen bedienen könnte.

Das Gespräch führte Claudio Spescha.

SRF 1, Sondersendung, 24.02.2022, 08:30 Uhr ; 

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