In der Ukraine konzentriert sich die Macht auf eine Person, Wolodimir Selenski. Er ist nicht nur Präsident, seine Partei hat auch die absolute Mehrheit im Parlament. Jetzt wünscht sich die Opposition weniger Macht für den Präsidenten und warnt, dass das Präsidialamt in Kriegszeiten ausgenützt werden könnte.
Das Präsidialamt in der Ukraine ist tatsächlich sehr mächtig. Seit Kriegsbeginn werden die meisten wichtigen Entscheidungen von Selenski und seinen Beratern gefällt. Sie vertreten die Ukraine oft in der Öffentlichkeit und erklären die Regierungspolitik. Das führt unter anderem auch dazu, dass in- und ausländische Medien ihre Interviews bevorzugt mit Selenski-Beratern machen, weil sie näher an der Macht sind. Minister und Parlamentarierinnen haben das Nachsehen.
Problem «Superpräsident»
Die Präsidialorganisation um Selenski ist so zu einer Art Schattenregierung geworden. Dieser obsiegte zwar 2019 in einer freien und fairen Wahl und ist entsprechend demokratisch legitimiert. Dies gilt nicht für seine Beraterinnen und Berater, die seit Kriegsbeginn sehr viel Macht auf sich konzentriert haben. Das Parlament und selbst die Regierung mit dem Ministerpräsidenten haben dagegen an Einfluss verloren.
Die Machtverschiebung erklärt sich natürlich auch damit, dass das Land im Krieg ist und rasche Entscheidungen mit einer entschlossenen Führung braucht. Doch auf die Dauer wird eine solches System mit einem «Superpräsidenten» selbstredend zu einem Problem für die Demokratie.
Oppositionsparteien zurzeit kaum von Bedeutung
Die kritischen Stimmen kommen vor allem aus den nach wie vor bestehenden alten Oppositionsparteien. Dazu gehört der Block von Ex-Präsident Petro Poroschenko, aber auch die Partei von Ex-Premierministerin Julija Timoschenko. Sie politisieren weiterhin, helfen der Armee und zeigen sich sehr patriotisch.
Die Kritik ist aber nicht allzu stark. Der Burgfriede angesichts des grossen Feindes Russland hält weiterhin. Zugleich ist die Bedeutung der Opposition seit Kriegsbeginn stark gesunken. Sie komme in Umfragen nur noch auf wenige Prozentpunkte. Selenski dagegen ist im Volk weiterhin sehr populär.
Kritik am «Telemarathon»
Ein Kritikpunkt ist der sogenannte «Telemarathon», die Zusammenführung der grössten Fernsehsender zu Kriegsbeginn zu einem Programm mit einer Berichterstattung. So ist bei Besuchen im Land immer wieder zu hören, dass die Lage im Land geschönt dargestellt werde. Kleine militärische Erfolge würde zu grossen Siegen umgedeutet, während Verluste an der Front und Zerstörungen eher verschwiegen oder kleingeredet würden.
Dazu kommt, dass die Regierung sehr präsent – wenn nicht gar überpräsent – ist und meistens positiv über ihre eigene Arbeit berichten lässt. Den Menschen in der Ukraine entgeht selbstverständlich nicht, dass da oft ein unrealistisches Bild von der Lage im Land gezeichnet wird. Vielen ist bewusst: «Es ist zwar unsere Propaganda, aber es ist trotzdem Propaganda.»