Die USA haben am Donnerstag weitere Unterstützung für die Ukraine beschlossen. Der Kongress reaktivierte mit grosser Mehrheit ein Gesetz aus dem Zweiten Weltkrieg, um der Ukraine schnell grosse Mengen an Waffen geben zu können. Präsident Joe Biden hat den Kongress zudem um weitere 33 Milliarden Dollar an Hilfsgeldern gebeten. Laut Thomas Jäger könnte dies die Kalkulationen des Kremls verändern.
SRF News: Im US-Kongress hat sich eine grosse Einigkeit gezeigt, sich wieder in Europa einzumischen. Welche Symbolwirkung hat das?
Thomas Jäger: Die Reaktivierung des Lend-Lease-Acts ermöglicht es zum einen, dass die amerikanische Regierung etwas unkomplizierter militärisches Material in die Ukraine liefern kann. Zum anderen ist es von hoher Symbolkraft. Denn Russland wirft der Ukraine vor, sie sei eine Naziregierung, und es ginge darum, die Ukraine zu denazifizieren. Und gerade ein solches Gesetz, das gegen Nazideutschland gerichtet war, wird nun von den USA genutzt, um die Ukraine zu unterstützen.
Verteidigungsminister Lloyd Austin sagte, Russland sollte so geschwächt werden, dass es kein anderes Land mehr überfällt. Wie wichtig ist dieses Ziel?
Austin hat diese Aussage später noch etwas konkretisiert, weil es so schien, als hätte er einen grossen Strategiewechsel angekündigt. Das müsse man so verstehen, sagte er: Die russischen Streitkräfte werden im Krieg geschwächt. Sie haben etwa 15'000 Soldaten verloren und enorm an Material eingebüsst. Ihre Kampfkraft ist stark dezimiert.
Die russischen Streitkräfte werden geschwächt aus diesem Konflikt gehen.
Gleichzeitig verhindern die Wirtschaftssanktionen, dass Russland in der Lage ist, das Material, das es jetzt einsetzt, entsprechend nachrüsten zu können. Das heisst, die russischen Streitkräfte werden geschwächt aus diesem Konflikt gehen. So wollte Austin die Aussage verstanden wissen, und nicht etwa so, dass Russland in einen langen Krieg verzettelt werden soll, aus dem es geschwächt herausgeht.
Soll die grosse Investition der USA den Krieg verkürzen?
Eine so grosse Summe und die Erwartung von so vielen Waffen muss die russischen Kalkulationen beeinflussen. Russland wird nicht davon ausgehen können, dass es auf lange Sicht die Ukraine niederkämpfen kann, weil ihr das Material ausgeht. Und das könnte in Moskau dafür sorgen, dass man einer Verhandlungslösung näher kommt.
In Kiew wird niemand ruhig schlafen, wenn dieser Krieg vorbei ist, weil man immer damit rechnen muss, dass der Angriff wieder aufgenommen wird.
Die USA wiesen auch darauf hin, dass die Unterstützung sehr wohl kompatibel sei mit einem neutralen Status der Ukraine. Die Streitkräfte müssten einfach stark genug sein, um einen nächsten Angriff Russlands abzuschrecken. In Kiew wird niemand ruhig schlafen, wenn dieser Krieg vorbei ist, weil man immer mit einem erneuten Angriff rechnen muss.
Im Raum steht immer noch die Drohung eines Atomschlags. Können die gesprochenen 33 Milliarden Dollar abschreckend wirken?
Das ist möglich, aber schwer vorauszusagen. Die Frage ist: Wie nimmt Putin die Welt derzeit wahr? Wenn er das als eine Veränderung im Krieg wahrnimmt und er darauf aus ist, den Osten der Ukraine zu besetzen, die Krim zu behalten, dann wären Verhandlungen zu den Grundlagen zumindest gegeben. Wie die Lösung aussieht, ist eine andere Frage.
Wir werden spätestens am 9. Mai wissen, ob Putin einen Sieg in der Ukraine verkündet.
Aber möglicherweise sieht er es auch anders und sagt: Die Ukraine ist der Stellvertreter der Nato und das Ganze nun ein Krieg, der mit der Nato geführt wird. Wir werden es spätestens am 9. Mai wissen, ob Putin einen Sieg in der Ukraine verkündet, die Erreichung der Ziele der militärischen Spezialoperation, oder ob er sagt: Wir sind stärker bedroht als jemals zuvor und müssen uns zur Wehr setzen.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.