Die USA und Russland wollen die Zukunft der Ukraine unter sich ausmachen. Ohne die Ukraine und ohne Europa. Konkrete Konzepte für einen Frieden liegen noch nicht vor – es sieht aber so aus, als wären die USA bereit, Russland mit ukrainischem Territorium zu belohnen. Markus Reisner, Militärhistoriker und Oberst im österreichischen Bundesheer, schätzt die Lage ein.
SRF News: Hat Russland, militärisch betrachtet, wirklich ein Interesse an einem baldigen Friedensabkommen?
Markus Reisner: Aus militärischer Sicht erkennt Russland gerade, dass es auf der Zeitkarte alle Möglichkeiten hat, die es braucht, um seine Ziele zu erreichen. Das Militär verfolgt politisch vorgegebene Ziele und das ist aus russischer Sicht nach wie vor zumindest die Besitznahme von vier Oblasten, aber auch im Prinzip das Herstellen einer Nachkriegsordnung zu Ungunsten der Ukraine. Und hier ist alles am Tisch.
Das mag uns jetzt auf den ersten Blick nicht erreichbar erscheinen, aber in Anbetracht dessen, was Trump und seine Vertreter in München gesagt haben, ist es aus russischer Sicht sehr wohl etwas, wo sie jetzt «all in» gehen.
Muss Russland überhaupt noch mit dem Militär weiteres Gelände erobern? Ginge das nicht einfacher am Verhandlungstisch?
Es wird sich weisen, wie beide Seiten miteinander umgehen können. Und das ist im Moment die russische und die amerikanische Seite. Die Ukraine hat nach drei Jahren Krieg nur eingeschränkte Möglichkeiten, einen derartigen Konflikt aus eigener Kraft weiterführen zu können.
Wenn die Unterstützung des Westens wegfällt, kann alles sehr schnell gehen.
Das heisst, es ist entscheidend, was von den USA und von Europa geliefert wird. Wenn die USA ausfallen, dann müsste Europa einspringen, um das zu kompensieren. Die Frage ist, ob Europa bereit dazu ist und ob es das auch kann. Wenn die Unterstützung des Westens wegfällt, kann alles sehr schnell gehen.
Hätte die Ukraine ein Interesse an einer baldigen Lösung?
Wenn es dazu kommt, dass die Ukraine nicht weiter unterstützt wird, kann sie diesen Krieg nicht weiterführen. Es muss im Interesse der Ukraine sein, Verhandlungen zu führen, die zu ihren Gunsten die Situation verändern. Darum sagt sie auch immer, sie möchte sie aus einer Position der Stärke heraus führen. Das ist das, was im Moment scheinbar vom Tisch ist.
Aber wenn die Verhandlungen nicht zu einem Ergebnis kommen, dann geht der Krieg weiter. Und hier ist es natürlich eine reine Frage des Abnützungskrieges, welcher Seite zuvor die Luft ausgeht.
Die Ukraine bräuchte vor allem weit mehr Fliegerabwehr, um die Tiefe ihres Landes schützen zu können.
Was bräuchte die Ukraine, damit sie militärisch die Oberhand gewinnen könnte?
Wir haben in den letzten drei Jahren gesehen, dass es sehr wohl immer wieder möglich war, mit gezielten Waffenlieferungen zumindest eine Pattsituation herzustellen. Die Ukraine bräuchte vor allem weit mehr Fliegerabwehr, um die Tiefe ihres Landes schützen zu können und um einen möglichen langen Krieg führen zu können. Das ist eine reine defensive Ausrichtung. Da rede ich noch gar nicht von einer offensiven Einsatzführung.
Eine grosse Herausforderung, die auch der Westen nicht ändern kann, ausser er würde sich mit Truppen beteiligen, ist die Verfügbarkeit von Soldaten. Dieser Abnutzungskrieg zeigt, dass der Ukraine langsam die Soldaten ausgehen.
Dieses elende Fegefeuer, ist aus meiner Sicht höchst unmoralisch.
Wie sollte es ihrer Meinung nach nun weitergehen?
Aus meiner Sicht gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder man geht «all in» und versucht den Krieg zugunsten der Ukraine rasch zu beenden oder man ist nicht bereit, das zu tun. Dies müsste man aber auch der Ukraine sagen. Das, was man jetzt tut, dieses elende Fegefeuer, ist aus meiner Sicht höchst unmoralisch.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.