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US-russisches Powerplay «Wir sind Zeitzeugen eines fundamentalen Wandels»

Drei Jahre nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine wollen Russland und die USA über einen Friedensplan sprechen. Europa und die Ukraine sitzen aussen vor. Für den Politologen Herfried Münkler muss Europa jetzt endlich in die Gänge kommen.

Herfried Münkler

Politologe

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Herfried Münkler ist Politikwissenschaftler mit dem Schwerpunkt politische Theorie und Ideengeschichte. Er lehrte als ordentlicher Professor an der Berliner Humboldt-Universität. Bekannt wurde er durch seine Forschungen zu Machiavelli. Seit Oktober 2018 ist er emeritiert.

SRF News: Wie schätzen Sie die aktuelle Situation ein?

Herfried Münkler: Wir sind Zeitzeugen eines fundamentalen Wandels. Zunächst: Die schrittweise – um nicht zu sagen disruptive – Auflösung dessen, was wir bisher als atlantischen Westen bezeichnet haben. Es sind Beziehungen, die auf Vertrauen beruhen.

Das Vertrauen Europas in die USA gibt es nicht mehr.

Doch seit dem Auftritt von US-Vizepräsident J.D. Vance in München gibt es das Vertrauen Europas in die USA nicht mehr. Für die Ukraine bedeutet das, dass sie sich auf einen von Russland und Trump diktierten Frieden einstellen muss. Die Europäer werden die Ukrainer davor nur retten können, wenn sie zu ungeheuren Anstrengungen bereit sind. Das allerdings kann ich im Moment nicht sehen.

Was bedeutet es für das demokratische Europa, dass Trump und Putin jetzt offenbar vorhaben, die Sache unter sich auszumachen?

Europa muss so etwas wie strategische Autonomie entwickeln – das sage ich seit zehn Jahren. Das gilt nicht nur für die Verteidigung, sondern auch für die Wirtschaft und die Technologie. In der Sicherheitspolitik bedeutet das: Europa braucht eine eigene nukleare Abschreckungskomponente.

Inzwischen hat man von den USA den Eindruck, dass sie sich bei den Autokratien einreihen wollen.

Dazu braucht es zwingend einen europäischen Oberkommandanten – und es müssen nicht alle 27 EU-Mitglieder mitmachen. Eher müssen das die Grossen – Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Polen und vielleicht Italien – gemeinsam tun. In Ansätzen sieht man das bereits. Europa muss sich als Akteur mit dem Verständnis des demokratischen Rechtsstaates behaupten – im Widerstreit der grossen Mächte und vor allem gegen die Autokratien China und Russland. Aber inzwischen hat man auch von den USA den Eindruck, dass sie sich bei den Autokratien einreihen wollen.

Es scheint, die EU ist vor allem durch innenpolitische Debatten geprägt, eine starke, geeinte Position fehlt. Inwiefern spielt das aktuell eine Rolle?

In den letzten Jahren war in der EU – ausser vielleicht Emmanuel Macron – niemand dazu bereit, den Hut aufzusetzen und von vorne zu führen. Das rächt sich jetzt. In der jetzigen Situation mit einer dramatischen Beschleunigung der Abläufe und einer Zuspitzung auf ein Entweder-oder ist Europa schlicht kein Akteur mehr.

Die europäischen Demokratien sind gefordert, eine effektive Verteidigungsfähigkeit aufzubauen.

Vance hat in München Europa mangelndes Demokratieverständnis vorgeworfen. Wieso tritt die Trump-Administration so gerne im Namen der Demokratie auf?

Vances Vorhaltungen an die Europäerinnen und Europäer, sie hätten Mängel in ihren Demokratien, waren imperialistisches Agieren. Wir beobachten aber schon seit einiger Zeit, dass sowohl Putin – mit hybrider Kriegsführung – als auch Trump, Musk und Vance sich zunehmend in die innenpolitischen Angelegenheiten der Europäerinnen und Europäer einmischen. Das ist sehr bedenklich. Die europäischen Demokratien sind also gefordert, eine effektive Verteidigungsfähigkeit aufzubauen. Man wird sehen, ob sie das hinbekommen.

Welches Signal sehen autoritäre Staaten?

Wenn Putin mit einem grossen Knochen aus dem Krieg gegen die Ukraine hervorgeht, dann ist das ein Zeichen für Xi Jinping, Taiwan mit militärischen Mitteln einzukassieren. Erdogan wird seine neo-imperiale Politik problemlos fortsetzen können. Und womöglich wird auch der serbische Präsident Vucic es so verstehen, dass er in Kosovo und Bosnien-Herzegowina jetzt freie Hand hat.

Das Gespräch führte Oliver Kerrison.

SRF 4 News aktuell, 18.2.2025, 06:50 Uhr ; 

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