Schon vor dem Krieg in der Ukraine galt Russland wahrlich nicht als Paradies für die Pressefreiheit. Rang 150 von 180 belegte das grösste Land der Erde zuletzt im Index der Organisation Reporter ohne Grenzen – immerhin noch vor Staaten wie Belarus, China und Nordkorea. Nun aber ziehen die russischen Behörden die Daumenschraube deutlich an.
Laut einem neuen Gesetz drohen bis zu 15 Jahre Freiheitsentzug für diejenigen, die angebliche «Falschinformationen» über Russlands Armee verbreiten. Facebook und Twitter sind blockiert. Kritische Portale und Sender schliessen. Auch mehrere ausländische Medien – wie ARD, ZDF, die britische BBC oder auch wir von SRF – setzen die Berichterstattung aus Russland vorübergehend aus.
Glaubt man Kremlchef Wladimir Putin, so läuft alles «nach Plan» bei der «Spezial-Militäroperation» in der Ukraine – trotz der 498 Landsleute, die offiziellen Angaben zufolge dabei bislang getötet worden sein sollen. Glaubt man dem Staatsfernsehen, so kämpfen die russischen Soldaten im Nachbarland tapfer und überlegen gegen die «Neonazis» in Kiew und «befreien» den Donbass. Putin begründet den vom Westen verurteilten Angriffskrieg damit, dass er die Menschen in den ostukrainischen Gebieten vor angeblichen Angriffen ukrainischer Nationalisten in den Regierungstruppen schützen wolle.
«Russland wurde mit echter Zensur bedeckt»
Repressionen gegen Medienschaffende seien in Russland zwar nicht neu, sagt Schriftstellerin und Journalistin Alissa Ganijewa der Deutschen Presse-Agentur. «Aber es war die Invasion in der Ukraine, die einen Ausgangspunkt bildete für ein schnelles, hyperbeschleunigtes Wachstum von Unterdrückung und Diktatur im Land.» Das Verschwinden kritischer Stimmen sei eine «riesige Katastrophe», beklagt die 36-Jährige. «Russland wurde mit echter Zensur bedeckt.» Die Folgen seien gravierend: «Millionen von Menschen, die vergiftet sind durch das starke Gift von Putins Propaganda, bleiben nun ohne Gegenmittel zurück.»
Millionen von Menschen, die vergiftet sind durch das starke Gift von Putins Propaganda, bleiben nun ohne Gegenmittel zurück.
Vor allem für ältere, nicht Internet-affine Russen wird es zunehmend schwer, sich unabhängig zu informieren. In sozialen Netzwerken veröffentlichen verbliebene kritische Medien Anleitungen zum Einrichten und Nutzen alternativer Verbindungen oder Browser, um ihre blockierten Seiten doch noch aufrufen zu können. Auf Instagram posten Nutzer Listen mit bewährten VPN-Anbietern («Virtual Private Network») und bieten ihren Mitmenschen Hilfe bei der technischen Umsetzung an.
Tausende Festnahmen bei Anti-Kriegs-Demos in Russland
Zur wichtigsten Social-Media-Plattform ist vor allem für junge Russen Telegram geworden, wo gesperrte Medien ihre Inhalte weiter verbreiten können. Telegram-Mitbegründer Pawel Durow erklärte kürzlich, diese für viele mittlerweile einzige Informationsquelle auch künftig nicht beschränken zu wollen.
Eine 26 Jahre alte Moskauerin, die regelmässig gegen Putins Vorgehen auf die Strasse geht, erzählt, sie habe auf Telegram nun auch ständig die Kanäle von Aktivisten und Juristen im Blick. «Das ist der schnellste Weg, um zu erfahren, was in der Stadt passiert und wie man bei einem Protest nicht in Gefahr gerät.» Bei offiziell verbotenen Anti-Kriegs-Demonstrationen sind Bürgerrechtlern zufolge in den vergangenen Tagen landesweit Tausende Menschen festgenommen worden.
Telegram ist der schnellste Weg, um zu erfahren, was in der Stadt passiert und wie man bei einem Protest nicht in Gefahr gerät.
Autorin Ganijewa zeichnet für die Zukunft ihres Landes unterdessen ein düsteres Bild: «Ich fürchte, dass wir bald eine schreckliche Wahl treffen müssen: entweder schweigen und unsere eigenen früheren Worte zurücknehmen oder ins Gefängnis gehen oder versuchen, in eine innere Emigration zu gehen, in eine Art Parallelsprache.» Die aktuellen Entwicklungen markierten das Ende einer post-sowjetischen Ära mit Hoffnung auf ein freieres Russland, meint sie.