Heute hat in Peking der jährliche Nationale Volkskongress begonnen. Er steht im Schatten der aktuellen Ukraine-Krise, die aber nicht direkt erwähnt worden ist. Die Zeichen aus China sind dieser Tage nicht einfach zu lesen. Man weiss nicht, ob China diesen Krieg verurteilt oder ob China zu Russland hält, denn gerade in sicherheitspolitischen Fragen war China oft ein Verbündeter Russlands. SRF-China-Korrespondent Martin Aldrovandi zur aktuell schwierigen Beziehung zwischen den beiden Staaten.
SRF News: Auf welche Seite tendiert China in der Ukraine-Krise?
Martin Aldrovandi: Ich würde sagen, China hält insofern zu Russland, als es diesen Angriff Russlands nicht direkt verurteilt. China bezeichnet das Vorgehen nicht einmal als Invasion und kritisiert stattdessen den Westen. Andererseits unterstützt China diesen Krieg nicht und pocht auf die Souveränität von Staaten, auch der Ukraine. Man will den Partner Russland nicht fallen lassen, aber international nicht dastehen, als würde man diesen Angriff unterstützen.
Im UNO-Sicherheitsrat hat China Russland nicht gestützt und sich der Stimme enthalten. Und ursprünglich hat China auch das Minsker Friedensabkommen unterstützt, ist also gegen den Krieg.
Ja, davon muss man ausgehen, zumindest was den Krieg in dieser Form betrifft. Chinas Regierung will Stabilität und pflegt auch gute Handelsbeziehungen zur Ukraine, die auch Teil der «Belt and Road Initiative» ist, der neuen Seidenstrasse. Das bringt die chinesische Regierung in eine sehr unangenehme Situation.
Chinas Regierung will Stabilität und pflegt auch gute Handelsbeziehungen zur Ukraine.
Bei der Eröffnung der Olympischen Spiele traf sich Russlands Präsident Putin mit dem chinesischen Staatschef Xi Jinping. Man fragt sich jetzt, ob China wirklich überrascht war, als Russland in der Ukraine einmarschierte.
Die «New York Times» hat ja über Geheimdienst-Informationen berichtet, wonach China Russland gebeten haben soll, mit der Invasion bis nach den Olympischen Spielen zu warten, was wiederum die chinesische Regierung zurückweist. Die Frage ist schon, wie viel China wirklich gewusst hat. Und falls ja, war die Annahme vermutlich, dass dies in kürzester Zeit erledigt ist.
Wie eng sind denn die Verbindungen zwischen China und Russland?
China bezieht Gas und Öl aus Russland und China exportiert Elektronik nach Russland. Die Handelsbeziehungen mit Europa und Nordamerika sind aber viel wichtiger. Die Annäherung zu Russland hat vermutlich mehr mit Geostrategie zu tun. China hat ja nicht nur mit den USA eine schwierige Beziehung, sondern auch Grenzstreitigkeiten mit seinen Nachbarn.
Die Partnerschaft mit Russland geht einfach so lange weiter, wie China profitieren kann.
Russland dürfte darum als Partner gesehen werden – Stichwort internationale Organisationen – wo man oft zusammenspannt. Gleichzeitig will China nicht in diesen Konflikt hineingezogen werden. Die Partnerschaft geht einfach so lange weiter, wie China profitieren kann.
Die Ukraine-Krise wird ja mit dem Konflikt verglichen, den China mit Taiwan hat. Wie wird das in Taiwan verfolgt?
In Taiwan gibt es viele Solidaritätsbekundungen für die Ukraine. Aber dass jetzt China Taiwan angreifen würde, ist eher unwahrscheinlich. China macht zwar Druck auf Taiwan und hat schon länger eine Drohkulisse aufgebaut mit seinem Militär und mit der Forderung nach einer «Wiedervereinigung». Und China schliesst nicht aus, im schlimmsten Fall Gewalt anzuwenden. Aber Taiwan ist nicht die Ukraine. Ausserdem würde ein Konflikt zwischen dem chinesischen Festland und Taiwan die USA auf den Plan rufen. Es gibt den «Taiwan Relations Act», mit dem sich die USA verpflichtet haben, dafür zu sorgen, dass sich Taiwan verteidigen kann. Deshalb ist ein Angriff eher unwahrscheinlich. Aber man soll vorsichtig sein mit Voraussagen, wie der Fall Ukraine gezeigt hat.
Das Gespräch führte Roger Brändlin.