Im Gazastreifen fliehen derzeit Hunderttausende Menschen vom Norden in den Süden. Denn Israel hat eine Bodenoffensive angekündigt, um die radikal-islamische Hamas zu zerstören. Diese kontrolliert den Gazastreifen seit bald 20 Jahren. Die aktuellen Ereignisse sind nur die neueste Episode in einer ebenso bewegten wie leidvollen Geschichte.
Von den Osmanen an die Briten: Noch während des Ersten Weltkrieges gehörte Palästina zum Osmanischen Reich. 1917 wurde es von Grossbritannien besetzt. «Damals wurde auch Gaza Teil des britischen Mandats Palästina und war eine vergleichsweise plurale Gesellschaft», erklärt der Historiker Hans-Lukas Kieser von der Universität Zürich.
«Ende der 1920er-Jahre kam es dann zu Attacken gegen Juden, die als Zionisten wahrgenommen wurden – obwohl ein grosser Teil der Juden auch Alteingesessene waren», sagt Kieser. Viele Juden verliessen Gaza. «Von da an war Gaza sunnitisch-muslimisch und ist es heute zu weit über 90 Prozent.»
Ringen um Palästina: 1947 teilte die UNO Palästina in einen jüdischen und einen arabischen Teil auf. Der heutige Gazastreifen sollte damals Teil eines neuen Palästinenserstaates werden. Die arabischen Staaten und die ansässigen Araber stellten sich aber gegen den UNO-Entscheid. «Sie sahen keine Chance, diesen territorialen Teilstaat von Palästina ernsthaft zu verwirklichen.» Schliesslich übernahm Ägypten die militärische Verwaltung des Gazastreifens und Jordanien annektierte das Westjordanland.
Kriege und Flüchtlingselend: Auf den UNO-Teilungsbeschluss von 1947 folgte der erste arabisch-israelische Krieg. Dieser endete mit dem Sieg der Israeli und der Flucht und Vertreibung der palästinensischen Araber. Viele flohen in den Gazastreifen. «Es gibt dort sehr viele Flüchtlinge, was viele der tiefsitzenden Ressentiments erklärt», sagt Kieser. Schon damals befand sich der Gazastreifen in einem wirtschaftlich prekären Zustand. «Es war eine krisenhafte Region mit einem massiven Flüchtlingsproblem», erläutert der Historiker.
Das Erbe der Muslimbrüder: Seit vielen Jahrzehnten ist auch die Muslimbruderschaft im Gazastreifen verwurzelt. Die islamistische Bewegung gewann seit den 1930er-Jahren ausgehend von Ägypten in vielen arabischen Ländern an Einfluss. «Israel versuchte sie zunächst auch als Gegengewicht zur PLO zu fördern, die bis in die 1990er-Jahre als Terrororganisation galt», sagt Kieser.
«Die Muslimbruderschaft war dann der Nährboden, auf dem 1987 die Hamas im Rahmen der ersten Intifada gegründet wurde», so der Historiker. Hamas unterhielt schon damals Verbindungen zu Iran, das seit der Islamischen Revolution von 1979 um Einfluss in der islamischen Welt rang.
Hamas übernimmt die Kontrolle: Seit ihrem Wahlsieg von 2006 regiert die Hamas im Gazastreifen, ohne sich erneut Wahlen zu stellen. 2007 sicherte sie sich ihre Macht in bürgerkriegsähnlichen Kämpfen mit der verfeindeten Palästinenserbewegung Fatah.
Dass sich Hamas im Gazastreifen durchgesetzt hat, erstaunt Kieser nicht. Denn die Ideologie der Muslimbrüder war dort schon lange tief verwurzelt: «Dabei setzte sich die Muslimbruderschaft bis in die 1970er-Jahre vor allem sozial ein und machte nicht durch extreme Gewalt von sich reden.» Schliesslich ging Hamas zu gezielten Terroranschlägen auf israelische Zivilisten über, insbesondere mit Beginn der zweiten Intifada Anfang der 2000er-Jahre.