Wladimir Putin hat versucht, mit einer grossen Show im Kreml an das Jahr 2014 anzuknüpfen. An den Moment, als der Kreml die Krim-Halbinsel annektierte und nach einem Pseudoreferendum zu russischem Staatsgebiet erklärte. Die Annexion wurde zwar auch vor acht Jahren international verurteilt, doch weitreichende und schmerzhafte Konsequenzen hatte dies damals für den russischen Präsidenten nicht.
Putins verdrehte Realität
Doch 2022 ist nicht 2014. Während die Krim-Annexion ohne Blutvergiessen über die Bühne ging, hat der Kreml mit seiner Grossoffensive in den vergangenen sieben Monaten eine Schneise von Tod, Verzweiflung und Zerstörung in der Ukraine zurückgelassen. Der Mann im Kreml mag sich bis zu seinem letzten Tag im Amt als Friedenstaube darstellen wollen, es wird ihm nicht gelingen. Die Macht der realen Bilder aus den von der Ukraine befreiten Gebieten ist grösser als die Macht von Putins Worten.
Die Rede von Wladimir Putin wirkte über Strecken fast schizophren. Der russische Präsident warf der ukrainischen Regierung und den westlichen Verbündeten Kiews genau jene Verbrechen vor, welche Russland selbst begeht. Für Folter, Tod von Zivilisten und Zerstörung jeglicher Infrastruktur in den umkämpften und besetzten Gebieten der Ukraine ist die russische Armee verantwortlich und nicht die ukrainische. Der russische Präsident mag das Gegenteil noch jahrelang behaupten, wahr wird es damit nicht.
Fehler machen nur die anderen
Wladimir Putin hat in seiner Rede Verweise auf die Bombardierungen von Dresden und Hamburg durch die Alliierten im 2. Weltkrieg gemacht und an den Korea-Krieg erinnert, um die Verlogenheit des Westens zu entlarven. Doch Kriegsverbrechen in der Vergangenheit von anderen Staaten sind keine Legitimation für Kriegsverbrechen von Russland in der Gegenwart. Es ist Putins grösste Schwäche, dass er nicht eigene Fehler eingestehen kann, sondern selbst, wenn die russischen Frontlinien im Eiltempo zusammenbrechen, noch immer mit dem Finger auf andere weist.
Es ist von aussen unmöglich zu beurteilen, ob der ehemalige KGB-Offizier tatsächlich davon überzeugt ist, wovon er spricht. Wenn er Sätze sagt wie: Der Westen würde lügen wie Hitlers Propaganda-Chef Joseph Goebbels. Ganz unabhängig davon, ob Putin in der Zwischenzeit selbst Opfer seiner Propaganda wurde und die eigenen Lügen glaubt: Er hat dem Westen – und damit an erster Stelle den USA – den Kampf angesagt.
Verlorene Männer an der Front
Doch Putin hat in seiner Rede kaum jene angesprochen, die für seinen Irrsinn in der Ukraine an der Front sterben. Die russischen Männer im Krieg werden nach der Rede noch weniger Gründe haben, für einen Präsidenten zu sterben, der länger über die angebliche Verlogenheit seiner Gegner, als über die eigenen Soldaten an der Front spricht.