Massengräber. Eine schwangere, blutüberströmte Frau auf einer Bahre. Und Kinder, die mit leerem Blick in die Kamera schauen, weil ihre Augen Dinge gesehen haben, die kein Mensch, erst recht kein Kleinkind, je zu Gesicht bekommen sollte.
Mstislaw Chernov hat diese Momente mit seinen Foto- und Videokameras festgehalten. Seit acht Jahren dokumentiert er den Krieg im ostukrainischen Donbass für die US-Nachrichtenagentur AP.
Russische Bombardements
Er kenne jeden Zentimeter der Frontlinie und habe deshalb geahnt, dass Mariupol zum Brennpunkt werden würde, sagt er. Und so reiste Chernov Ende Februar mit zwei Kollegen nach Mariupol. Kaum angekommen, fielen die ersten russischen Bomben und Raketen.
Je länger der Krieg dauerte, desto heftiger seien die russischen Angriffe geworden: «Jeden Tag ziehst du dir Schutzweste und Helm an, packst deine Kamera ein – im Bewusstsein, dass du möglicherweise nicht zurückkehrst. Im Minutentakt sind die Bomben eingeschlagen.»
Es sei nur die Frage gewesen, ob die nächste Bombe direkt neben ihm oder in einem Kilometer Entfernung einschlagen würde.
Als erfahrener Kriegsreporter begab sich der 35-Jährige in eines der Spitäler der Stadt. Weil es dort wenigstens während einer Viertelstunde pro Tag Strom und Internet gab und er so seine Bilder und Videos an die Redaktion übermitteln konnte. Dort musste er unfassbare Szenen miterleben.
Amputationen ohne Betäubungsmittel
«Es gab kaum mehr Schmerzmittel und Antibiotika. Die Ärzte waren gezwungen, Gliedmassen zu amputieren, wegen einfacher Wunden, die mangels Medikamenten zu solch schweren Infektionen geführt hätten, dass am Ende so oder so nur eine Amputation übriggeblieben wäre», erzählt Chernov. Diese Operationen hätten praktisch ohne Schmerzmittel durchgeführt werden müssen.
Irgendwann kam der Moment, dass Chernov und seine Kollegen von ukrainischen Soldaten in Sicherheit gebracht werden mussten, weil russische Soldaten Jagd machten auf die Journalisten.
Er habe sich schuldig gefühlt, Mariupol und seine Menschen zurückzulassen. Nur wenn man selber vor Ort sei, könne man russischen Fakenews entgegentreten, betont Chernov.
Russische Medien verbreiten Lügen
«Russische Staatsmedien verbreiteten Bilder von Massengräbern und behaupteten, Ukrainer hätten diese Menschen getötet. Doch genau jene Gräber habe ich selber gefilmt und weiss deshalb, dass die Menschen durch russischen Beschuss getötet wurden», so der Kriegsfotograf.
Chernov will wieder ins Kriegsgebiet fahren, um das Grauen zu dokumentieren. Damit wenigstens der Westen die Wahrheit erfährt.