Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache. Im letzten Jahr sind unter den 20 bis 30 Jahre alten Männern in Schweden 18 Personen pro Million Einwohner Opfer von tödlicher Waffengewalt geworden. Im Vergleich dazu liegt der Durchschnitt in Europa bei drei Personen – also sechsmal tiefer.
Das ergibt eine von der schwedischen Regierung in Auftrag gegebene Studie. Sie zeigt auch, dass die tödliche Gewalt durch Schusswaffen in den letzten zehn Jahren europaweit zurückgegangen, in Schweden aber gestiegen ist.
Der Bericht der staatlichen Behörde zur Verbrechensprävention (Bra) macht auch deutlich, wo und wieso es hauptsächlich zu diesem überdurchschnittlichen Schusswaffeneinsatz mit Todesfolge kommt.
Clans kämpfen um Vorherrschaft
Rund um die grössten Städte Schwedens entstanden in den 60er und 70er Jahren Betonvorstädte auf der grünen Wiese. Sie sollten Arbeitskräften aus ganz Europa ein modernes Leben ermöglichen. Heute leben hier vor allem Zuwanderer aus dem Nahen Osten und Afrika.
Kürzlich eskalierte im Göteborger Vorort Hjällbo ein Streit zwischen zwei Clans. Es ging um den Verkauf eines Motorrades. Es kam zu Schüssen am helllichten Tag. Die Folge: Ein Toter und fünf Schwerverletzte.
Das war einmal ein friedliches Quartier, aber jetzt kommt es immer wieder zu solchen Taten.
Bei einem Besuch wenige Tage später zeigen sich Passanten erschüttert und geschockt über das Ereignis. «Das war einmal ein friedliches Quartier, aber jetzt kommt es immer wieder zu solchen Taten», sagt eine Frau, die vor 20 Jahren aus der Ukraine hierhergekommen ist. Ein Mann mit kolumbianischen Wurzeln erklärt, dass er seinen Kindern verboten habe, im Freien zu spielen.
Polizei verstärkt Präsenz massiv
Für den Polizeisprecher Thomas Vogelberg steht fest, dass es sich beim Konflikt um eine Ausmarchung zwischen zwei kriminellen Banden in Hjällbo handelt. «Es besteht ein grosses Risiko, dass es zu weiteren Konfrontationen zwischen diesen Banden kommt. Deshalb hat die Polizei ihre Präsenz hier massiv verstärkt.»
Hjällbo ist nur ein aktuelles Beispiel. In über zwanzig weiteren Vororten schwedischer Grossstädte ist die Entwicklung ähnlich.
Es besteht ein grosses Risiko, dass es zu weiteren Konfrontationen zwischen diesen Banden kommt.
Zahlreiche kriminelle Clans haben sich dort etabliert, wie Johanna Bäckström Lerneby in einer mehrjährigen Recherche herausgefunden hat. «Die Familien kämpfen darum, die öffentliche Ordnung zu kontrollieren, und vor allem jüngere Mitglieder beschäftigen sich mit dem Drogenhandel und anderen illegalen Aktivitäten», sagt die Journalistin. In ihrem Buch «Die Familie» hat sie einen aus dem Libanon stammenden Clan in Göteborg porträtiert.
Parteien sind sich uneins
Das Buch, das letztes Jahr erschien, wie auch der neue Untersuchungsbericht zum tödlichen Schusswaffeneinsatz machen deutlich: Die Ursachen der zunehmenden Gewalt in den Vororten sind vielfältig und liegen teilweise Jahrzehnte zurück. Und im Unterschied zu anderen Ländern mit ähnlichen Problemen – wie etwa Frankreich oder auch Deutschland – sind sich in Schweden die politischen Parteien bei der Lösungssuche zutiefst uneins.
Vor allem jüngere Familienmitglieder beschäftigen sich mit Drogenhandel und anderen illegalen Aktivitäten.
Die Linke fordert Sozialprogramme und Milliarden für die Modernisierung der heruntergekommenen Vororte. Die liberale Mitte macht das Übel in einer zu repressiven Drogenpolitik gepaart mit fehlenden Polizeiressourcen aus. Und die Rechte ist überzeugt, dass mit einem radikalen Einwanderungsstopp der kriminelle Sumpf ausgetrocknet werden könne.
Parteiübergreifende, langfristige Strategien gegen die Gewalt in den Vorstädten sind nicht in Sicht.