Während die Türkei die Tore für Flüchtlinge und Migranten nach Europa öffnet, macht Griechenland die Grenze dicht. Athen hat den Grenzschutz massiv verstärkt und nimmt mindestens einen Monat lang keine Asylgesuche mehr an. Die Nerven liegen blank, vor allem auf den Ägäisinseln, wie die Journalistin Rodothea Seralidou berichtet.
SRF News: Was bezweckt die griechische Regierung mit den neuen Massnahmen?
Rodothea Seralidou: Die Migranten und Flüchtlinge sollen daran gehindert werden, nach Griechenland zu gelangen. Die massive Präsenz von Polizei und Militär entlang der Grenze zur Türkei soll der eigenen Bevölkerung auch zeigen, dass sie sich sicher fühlen kann. Bei den Migranten andererseits sollen die Massnahmen eine abschreckende Wirkung haben.
Sind die getroffenen Massnahmen rechtens?
Rechtlich problematisch ist, dass denjenigen, die es trotz allem nach Griechenland schaffen, das Recht auf einen Asylantrag verweigert wird. Die griechische Regierung argumentiert, es handle sich um eine aussergewöhnliche Notlage, die von der türkischen Regierung ausgelöst worden sei. Die Migranten und Flüchtlinge würden von Ankara instrumentalisiert, um die EU unter Druck zu setzen. Deshalb sei eine strengere Handhabung des Asylrechts legitim. Menschenrechtsorganisationen und das UNHCR dagegen sprechen von einer Verletzung der Genfer Flüchtlingskonvention.
Die Landgrenze zwischen der Türkei und Griechenland ist über 200 Kilometer lang. Kann man sie lückenlos sichern?
Nein. Griechenland hat Soldaten aus dem ganzen Land an die Grenze beordert, um sie zu schützen. Auch wenn die Armee mit modernsten Geräten ausgerüstet ist, ist eine lückenlose Sicherung nicht möglich.
Auch mit modernsten Geräten ist eine lückenlose Sicherung der griechischen Grenze nicht möglich.
Es gibt auch Berichte, wonach Migranten von türkischen Polizisten an Stellen geführt werden, wo die Grenze nicht durch einen Zaun gesichert ist. In den vergangenen Tagen nahmen die Griechen jeweils mehrere Dutzend Menschen fest. Dabei dürfte die Dunkelziffer derer, die tatsächlich nach Griechenland gelangen konnten, ein Vielfaches höher sein.
Wie reagieren die Griechinnen und Griechen, die an der Grenze wohnen, auf die neue Situation?
Die meisten von ihnen sehen bislang keine Flüchtlinge. Sie versuchen vor allem, die griechischen Einsatzkräfte zu unterstützen – etwa, indem sie diese mit gekochtem Essen versorgen. Allerdings herrscht durchaus Furcht vor einer Situation, in der Hunderttausende Menschen aus der Türkei nach Griechenland strömen könnten.
Viele Flüchtlinge und Migranten versuchen auch eine Überfahrt auf die ägäischen Inseln. Inwiefern verschärft das die Lage dort?
Allein am Sonntag kamen rund 1000 Menschen auf den Inseln an, auf denen die Flüchtlingslager sowieso schon seit Monaten oder gar Jahren grenzenlos überfüllt sind. Zwar sind die griechische Küstenwache und das Militär mit 52 Schiffen und Booten vor Ort, doch sie schaffen es höchstens, einen kleinen Teil der Seegrenze zu sichern.
Die Situation auf den Inseln droht zu eskalieren.
Die türkische Küstenwache hat die Zusammenarbeit ausgesetzt – in manchen Fällen sollen Flüchtlingsboote sogar von türkischen Schiffen bis zur griechischen Seegrenze eskortiert worden sein. Damit droht die ohnehin schon angespannte Stimmung der Griechen auf den Inseln zunehmend zu eskalieren.
Das Gespräch führte Claudia Weber.