Gleich zwei empfindliche Niederlagen hat die britische Regierung in den letzten zwei Tagen im Unterhaus eingesteckt. Am kommenden Dienstag, wenn voraussichtlich über das Scheidungsabkommen mit der EU abgestimmt wird, droht eine dritte. Was dann? Das entscheidet nicht nur die britische Regierung; die Labour-Opposition spielt eine wichtige Rolle. Heute legte Oppositionsführer Jeremy Corbyn einige seiner Karten auf den Tisch.
Der Scheidungsvertrag der Premierministerin sei schlecht für das Land und Labour werde nächste Woche dagegen stimmen, bestätigte Oppositionsführer Corbyn in einer Grundsatzrede in Wakefield. Obwohl die Regierung gegenwärtig um abtrünnige Labour-Stimmen für ihren Vertrag wirbt, stehen ihre Chancen unverändert schlecht.
Der Deal von Theresa May ist schlecht für unser Land. Labour wird nächste Woche im Parlament dagegen stimmen.
Die Drohung: Neuwahlen
Corbyn geht von einer weiteren Niederlage aus: Eine Regierung, die ihr wichtigstes Anliegen nicht durchs Parlament bringe, sei gar keine Regierung. Sie müsse sich in einer Neuwahl um ein neues Mandat bewerben. Corbyn kündigte einen Misstrauensantrag gegen die Regierung an, nannte aber keinen Zeitpunkt. Derzeit sieht es nicht danach aus, wie wenn Labour eine Mehrheit für Neuwahlen zusammenkratzen könnte.
Labour gespalten
Wenn es nicht gelinge, die Regierung zu stürzen, behalte er sich alle Optionen offen, einschliesslich eines zweiten Referendums. Aber die Neuwahl habe erste Priorität. Das Problem an diesem innigen Wunsch nach einem Regierungswechsel ist der Umstand, dass die Vorstellungen der Labour-Partei zum Brexit ebenso unklar und widersprüchlich sind wie jene der Konservativen. Corbyn ist nämlich alles andere als ein Freund der EU.
Das Mandat des Brexit-Referendums bleibt ein kategorischer Imperativ: Kein Parteichef, der das Land einigen wolle, könne 17 Millionen Stimmen für den Brexit einfach wegwünschen, betont Corbyn. Und so will er nach einem Wahlsieg nach Brüssel, um neu zu verhandeln.
Corbyns Dilemma
Er wolle eine neuartige Zollunion, in der London bei neuen Handelsverträgen mitverhandle und eine enge Bindung an den Binnenmarkt, sagt Corbyn. Das ist ehrgeizig, um nicht zu sagen utopisch. Niemand hat eine Zollunion mit der EU und sitzt mit am Verhandlungstisch. Und beim Binnenmarkt verhält es sich ähnlich wie bei einer Schwangerschaft: Entweder man ist drin oder draussen. Ein «bisschen Binnenmarkt» steht eigentlich nicht auf dem Menu.
Corbyns Spagat ist Ausdruck seines Dilemmas: Er will den Austritt, seine Wähler und seine Parlamentarier wollen ihn nicht. Er will kein zweites Referendum, seine Basis will es grossmehrheitlich. Der Politiker, der sich stets als radikaler Basisdemokrat rühmte, stösst an seine Grenzen.