- Ein Krisentreffen zwischen der Europäischen Union und Grossbritannien im Brexit-Streit hat einen alten Streit neu entflammt.
- Umstritten ist der britische Gesetzes-Entwurf zum Binnenmarkt, mit dem frühere Brexit-Abmachungen zu Nordirland verletzt würden.
- Die EU-Kommission spricht von «schwerwiegendem Vertrauensbruch». Sie hat Grossbritannien ultimativ aufgefordert, diesen Entwurf zurückzuziehen.
- Grossbritannien weigert sich und will den Entwurf dem britischen Parlament vorlegen.
Mehrere EU-Diplomaten sagten heute, die heutige Verhandlungsrunde zwischen hochrangigen Vertretern beider Seiten hätten die Bedenken der EU nicht ausgeräumt.
Einer der Diplomaten kritisierte, der britische Vize-Premierminister Michael Gove habe nur «Phrasen gedroschen», beim Gespräch mit Maros Sefcovic, Vizepräsident der EU-Kommission.
Umstritten ist: London hat einen Entwurf für ein britisches Binnenmarktgesetz vorgelegt, mit dem Klauseln aus dem 2019 vereinbarten EU-Austrittsvertrag zu Nordirland ausgehebelt würden. Und damit wird ein alter Streit, den man beigelegt glaubte, neu entfacht:
Die damals ausgehandelten Sonderregeln für Nordirland sollten eine harte Grenze zum EU-Staat Irland verhindern, und damit erneute Feindseligkeiten. Doch weil damit Nordirland vom Rest Grossbritanniens abgekoppelt werden könnte, sind diese Sonderregeln den Brexit-Befürwortern ein Dorn im Auge.
Der Brexit-Befürworter und britische Premierminister Boris Johnson versucht es nun: Er will mit dem Binnenmarktgesetz genau jene Punkte im Austrittsabkommen mit der EU ändern, die der EU besonders wichtig sind.
EU-Kommission fordert Rückzug der Pläne
Die EU-Kommission warnt darum dringend: Sollte das britische Parlament diesem veränderten Binnenmarktgesetz zustimmen, wäre das ein «extrem ernsthafter Verstoss» gegen das Scheidungsabkommen und gegen internationales Recht. Der britische Gesetzesvorstoss habe die Vertrauensbasis zwischen Brüssel und London schwerwiegend beschädigt.
Die EU-Kommission hat Grossbritannien ultimativ aufgefordert, die Pläne zur Änderung des Brexit-Abkommens zurückzuziehen – spätestens bis Ende September, erklärte Kommissionsvize Maros Sefcovic.
Grossbritannien lehnt das Ultimatum ab und weigert sich, die Pläne zurückzuziehen: Man werde den Entwurf dem britischen Parlament vorlegen und freue sich auf die entsprechende Debatte, erklärte der britische Unterhändler Gove.
Aus Sicht der EU ist der britische Änderungswunsch ausgeschlossen. Immerhin wurde der Scheidungsvertrag drei Jahre lang haarklein ausgehandelt, ratifiziert und in Kraft gesetzt.
In Brüssel wird deshalb gerätselt: Meint Johnson das ernst? Was treibt den innenpolitisch angeschlagenen Premier? Lenkt er, wie schon im vergangenen Jahr, in letzter Minute ein? Oder will er tatsächlich zum Jahresende den grossen Knall?
Die negativen Folgen für die Wirtschaft wären: Zölle, Lieferschwierigkeiten, Mehrkosten. Politisch wäre es: verlorene Glaubwürdigkeit auf dem internationalen Parkett.
Für beide Seite heikel
Die Lage ist auch für die EU heikel. Sie will mit dem Handelsvertrag gleiche Wettbewerbsbedingungen mit dem Ex-Mitglied Grossbritannien festschreiben, Zölle vermeiden, ihre Fischereirechte in britischen Gewässern sichern und Dutzende Fragen regeln.
Und Brüssel will nicht den Schwarzen Peter, falls diese Verhandlungen scheitern. Andererseits will die EU auch keinen neuen Vertrag mit einem Partner schliessen, der die alten Vereinbarungen nicht einhält.