Der Krieg in der Ukraine läuft für Russland und für Präsident Putin nicht allzu gut. Und so gibt es je länger je mehr laute Kritik an der Armee. Prominenteste Absender sind der tschetschenische Präsident Ramsan Kadyrow und Jewgeni Prigoschin, Chef der berüchtigten Wagner-Söldner. Allerdings: Man dürfe den Einfluss und die Macht der beiden nicht überschätzen, sagt der Russland-Experte Fabian Burkhardt.
SRF News: Wie präsent sind Kadyrow und Prigoschin in Russland selber?
Fabian Burkhardt: Beide sind die derzeit lautesten Stimmen im Lager der Hardliner, die in den vergangenen Monaten eine härtere Gangart im Krieg gegen die Ukraine gefordert haben. Beide verfügen über eigene Truppen: Kadyrow als Herrscher über Tschetschenien über eine eigene Nationalgarde und Militärpolizei, Prigoschin über seine Wagner-Söldnertruppe, die auch schon in Syrien oder Afrika aktiv war und jetzt in der Ukraine kämpft.
Kadyrow und Prigoschin sind absolut skrupellose Gewaltherrscher und sprichwörtliche Halsabschneider.
Beide sind absolut skrupellose Gewaltherrscher und sprichwörtliche Halsabschneider. Beide sind auch im Internet sehr aktiv und eigentliche Internet-Trolle, die dort massive Kritik an der russischen Militärführung geübt haben. Trotzdem sollten der Einfluss und die Macht der beiden nicht überschätzt werden.
Welchen politischen Einfluss haben sie in Russland?
Er ist begrenzt auf einzelne Politikbereiche. In der Machtelite haben Kadyrow und Prigoschin einige Verbündete – aber auch viele Feinde. Beide können vom Kreml sehr schnell zurückgepfiffen werden, sollte dies dereinst notwendig sein.
Andere Beobachter sehen das etwas anders und attestieren den beiden in letzter Zeit auch einen gewissen Einfluss bei der Absetzung von hohen Militärs und der Umbesetzung. Wie sehen Sie das?
Das stimmt: Nach der Niederlage von Charkiw tauschte Putin die Oberkommandierenden in allen vier russischen Militärbezirken aus. Auch wurde mit Sergej Surowikin ein neuer Oberbefehlshaber im Krieg gegen die Ukraine eingesetzt. Kadyrow und Prigoschin haben insbesondere an General Alexander Lapin Kritik geübt, der vor einigen Tagen denn auch entlassen worden ist.
Kadyrow und Prigoschin bekamen von den geplanten Umgruppierungen Wind und fuhren ihre öffentliche Kritik hoch – jetzt verkaufen sie diese medial als ihren Erfolg.
Meine These ist dabei: Weil Kadyrow und Prigoschin in den russischen Sicherheitskreisen sehr gut vernetzt sind, bekamen sie von den geplanten Umgruppierungen Wind und fuhren ihre öffentliche Kritik hoch. Jetzt verkaufen sie die Entlassung Lapins öffentlich und medial als ihren Erfolg. Dabei würde ich ihnen höchstens einen Teilerfolg zugestehen – die Umstellungen nach der Niederlage in Charkiw und dem grossen militärischen Druck in Cherson hätte es auch ohne sie gegeben.
Inwiefern ist die öffentlich geübte Kritik Kadyrows und Prigoschins ein Problem für den Kreml?
Sie ist ein Zeichen, dass es für Putin in der Ukraine militärisch nicht gut läuft. Doch wichtig zu wissen ist: Beide haben sehr viele Feinde in der russischen Elite und werden von dieser sehr skeptisch gesehen. Es ist eine situative Allianz, die rasch wieder brechen kann. Das wiederum ist ein Vorteil für Putin – beide Akteure sind von ihm abhängig. Er kann sein klassisches Spiel «Teile und herrsche» spielen.
Ist die Kritik für Putin sogar nützlich, weil er so in der Armee aufräumen kann?
Teilweise ja – weil Putin selber ja nicht direkt kritisiert wird, wird die öffentliche Aufmerksamkeit von ihm weggelenkt. Trotzdem zeigt es, dass es für Russland militärisch in der Ukraine nicht gut läuft. Es bleibt abzuwarten, wie lange Kadyrow und Prigoschin ihre laute Kritik derart öffentlich äussern dürfen.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.