IKRK-Präsident Peter Maurer war voriges Wochenende zu Besuch beim russischen Aussenminister Sergej Lawrow in Moskau: Man kennt sich, man duzt einander. Lawrow gibt sich erfreut. Der Besuch finde zur richtigen Zeit statt. Er lobt die langjährigen guten Beziehungen zum Internationalen Komitee des Roten Kreuzes. Maurer wiederum erklärt in der Medienkonferenz nach dem Treffen, er habe das internationale Kriegsvölkerrecht thematisiert und gegenüber Lawrow unterstrichen, die Zivilbevölkerung müsse unbedingt geschützt werden.
Sein Besuch, der nach einem ebensolchen in der Ukraine erfolgte, löste völlig überraschend eine Kaskade von Angriffen auf das IKRK aus, hauptsächlich in den sozialen Medien und von ukrainischen Absendern. Es sei alles andere als neutral, heisst es da etwa, wenn Maurer lächelnd gemeinsam mit dem russischen Chefpropagandisten auftrete.
Gefahr für Mitarbeiter vor Ort
Vorgeworfen wird dem IKRK, mit dem «Teufel», sprich dem Kreml, gemeinsame Sache zu machen. In einem Tweet steht, das Rote Kreuz legitimiere mit dem Moskauer Spitzentreffen auch Zwangsdeportationen durch die Russen. Und behauptet wird in einem weiteren gar, das IKRK habe sich an solchen aktiv beteiligt. Gegeisselt wird ebenso, dass die Genfer Organisation im russischen Rostow ein Büro eröffne. In Grafiken wird das Rotkreuzsymbol zu einem Hakenkreuz umgestaltet.
Das IKRK sah sich gezwungen, in einem ungewöhnlich scharf formulierten Communiqué auf die Desinformationskampagne zu reagieren. Die Angriffe seien bedrohlich für die humanitäre Organisation und könnten ihre Tätigkeit stark behindern. Woher sie stammen und ob sie eine konzertierte Aktion darstellen, weiss man am Genfer Hauptsitz nicht.
Hingegen ist klar, dass die Desinformationskampagne die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Ukraine, deren Zahl gerade um 160 Personen aufgestockt wurde, in Gefahr bringen. Sie sind in Kriegsgebieten zwingend darauf angewiesen, von allen Seiten als neutral wahrgenommen zu werden. Das schützt sie.
Maurers Besuch in Moskau war erforderlich
Peter Maurer tat nichts anderes, als was ein IKRK-Präsident tun muss: Im Gespräch sein mit allen Kriegsparteien – mögen sie noch so widerwärtig sein. Das gilt derzeit für die russische Führung, es gilt aber ebenso für die afghanischen Taliban, für die palästinensische Hamas und viele andere.
Beobachter mögen finden, Maurer hätte beim Auftritt mit Lawrow in Moskau etwas weniger freundlich lächeln sollen. Doch sein Besuch in Moskau war erforderlich. Humanitäre Arbeit verlangt, mit allen zu kommunizieren, die im Terrain Einfluss haben – und das sind nun mal in Teilen der Ukraine die Russen.
Und das IKRK-Dementi, man beteilige sich nicht an Deportationen oder Zwangsevakuierungen von Ukrainern nach Russland, ist glaubwürdig. Man helfe Flüchtlingen, aber ihre Flucht müsse immer freiwillig erfolgen.
Am meisten schadet die Flut an Desinformationen den Opfern des Krieges. Das IKRK ist nun intensiv bemüht, seine Position klarzumachen und seine Beweggründe darzulegen. Es kann gar nicht anders. Es muss ihm gelingen, seine Glaubwürdigkeit wiederherzustellen – auch bei all jenen, die sich durch Propaganda beirren lassen. Sonst wird es noch schwieriger, im Ukraine-Krieg zu helfen.