Vor 30 Jahren schlugen im Zentrum von Zagreb noch serbische Bomben ein. Jetzt empfängt der kroatische Aussenminister Gordan Grlic Radman mit einem breiten «Grüessech!». Er hat über sechs Jahre im bernischen Herzogenbuchsee gelebt.
Über die Entwicklung seines Landes seit dem Krieg ist er des Lobes voll: «Wer konnte sich das damals vorstellen, dass Kroatien heute ein unabhängiger Staat sein würde. Und Mitglied der wichtigsten internationalen Organisationen», schwärmt er.
Nachbarsstreit mit allen
Doch längst nicht alle in Europa sind so begeistert über die Entwicklung von Kroatien. Vor sechs Jahren galt der Balkanstaat als Hoffnungsträger, als es der EU beitrat. Es sollte im unruhigen Balkan vermitteln helfen und mithelfen, Staaten wie Montenegro, Nordmazedonien oder Bosnien näher an die EU heranzuführen. Doch stattdessen liegt Kroatien mittlerweile mit fast allen seinen Nachbarländern im Streit und gilt in Brüssel als «Problemkind».
So liess Kroatien einen Streit um die Küstenlinie mit dem Nachbarland Slowenien eskalieren. Die rechtsnationale Regierung verstrickte sich in zahllose Korruptionsaffären. Und statt sich um die drängenden Probleme der Wirtschaft und die enorme Abwanderung seiner Bürgerinnen und Bürger zu kümmern, weihen Mitglieder der Regierung immer wieder Denkmäler ein für Mitglieder der faschistischen Ustascha, jener Organisation, der im zweiten Weltkrieg über 300'000 Serben, Juden und Roma zum Opfer fielen.
Auf einem Denkmal in Split wurde kürzlich sogar der Leitspruch der kroatischen Faschisten «Za dom spremni» (zu Deutsch: Für die Heimat bereit) in Stein gemeisselt. Das entspricht ungefähr dem deutschen «Heil Hitler».
Verehrung für einen Kriegsverbrecher
Vor ein paar Tagen ehrte Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarović auf ihrer Facebook-Seite den Kriegsverbrecher Slobodan Praljak, der vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag vor laufender Kamera Suizid begangen hatte und so seiner Strafe entging. Ihre Begründung: «Er hat für das kroatische Volk gekämpft. Für seine Taten hat er bezahlt. Sein Tod ist eine grosse Tragödie.»
Žarko Puhovski, der wohl wichtigste Politologe Kroatiens erklärt die breite Akzeptanz dieses extremen Nationalismus in Kroatien so: «Wir haben noch immer diese ethno-ethische Tradition: Ein guter Kroate ist ein Mann, der Nationalist ist. Immer noch sind unglaublich viele Leute bereit, diese moralische Relativierung zu akzeptieren, die im Grunde bedeutet: Es gibt keine Verantwortung.»
Mit der EU-Ratspräsidentschaft wird Kroatien jetzt Verantwortung übernehmen müssen. Im Mai wird in Zagreb ein Gipfeltreffen zum Thema EU-Westbalkan stattfinden. Doch welche Rolle Kroatien dabei spielen wird, ist unklar.
Auch wenn es die Erweiterung auf dem Balkan unterstützt, ist es mit den meisten seiner Nachbarstaaten zerstritten. Offiziell hat der kroatische EU-Ratsvorsitz vier Schwerpunkte: Ein Europa, das sich entwickelt, ein Europa, das verbindet, ein Europa, das schützt und ein Europa, das einflussreich ist.
Fördergelder sind überlebenswichtig
In Tat und Wahrheit dürfte aber der wichtigste Punkt sein, dass das EU-Budget nach dem Austritt von Grossbritannien nicht zu stark gekürzt wird. Denn die Fördergelder aus Brüssel bleiben für die kroatische Regierung überlebenswichtig.