Worum geht es? Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat den türkischen Behörden die Vertreibung von geschätzt einer halben Million Menschen im Südosten des Landes vorgeworfen.
Der Bericht konzentriert sich auf die Vertreibung der Einwohner des historischen Viertels Sur in der Kurdenmetropole Diyarbakir. Das Viertel ist seit Juli 2015 Schauplatz von Kämpfen zwischen der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK und Sicherheitskräften. Damals scheiterte ein mehr als zwei Jahre anhaltender Waffenstillstand zwischen PKK und türkischer Regierung.
Die Anwohner seien innerhalb eines Jahres als Folge eines «brutalen Vorgehens der türkischen Behörden» aus ihren Häusern gezwungen worden. Dies käme einer «kollektiven Bestrafung» gleich, welche laut humanitärem Völkerrecht verboten ist.
Die Vertreibung: Alleine in Sur hätten rund 24'000 Menschen ihre Häuser aufgeben und das Viertel verlassen müssen. Die Anwohner hätten unter Lebensmittel- und Wasserknappheit gelitten und fürchteten wegen der anhaltenden Kämpfe um ihr Leben.
Viele hätten daher die kurzen Zeitfenster zwischen dem Ausgehverbot genutzt, um zu fliehen. Es gebe Hinweise darauf, dass Wasser gezielt abgestellt wurde, um Kämpfer, die sich in den Vierteln verschanzten, zu demoralisieren, so Amnesty.
Laut dem Türkei-Experten von Anmesty International, Andrew Gardner, gibt es keine genauen Zahlen zu den Vertriebenen, da zu den entsprechenden Vierteln wenige Daten existieren. Wenn man aber die Stadtteile mit langer Ausgangssperre betrachte, sehe man anhand der Zerstörung, dass rund 500'000 Menschen flüchten mussten.
Die grösse der Zerstörung von Häusern und Infrastruktur zeigen deutlich, dass rund eine halbe Million Menschen flüchten mussten.
Die aktuelle Situation: Viele Geflohenen seien zurzeit bei Verwandten oder in angemieteten Wohnungen untergekommen. Viele hätten jedoch auch ihre Arbeit verloren und Schwierigkeiten, eine Bleibe zu finden, die sie sich leisten könnten.
Weil etliche regierungskritische Vereine per Notstandsdekret geschlossen wurden, verschärft sich die Situation. Diese hätten sich zuvor um Bedürftige gekümmert. Gardner meint auch, es gebe keine «konkreten, detaillierten und glaubwürdigen» Pläne, wie die 24'000 Betroffenen wieder in ihre Häuser ziehen könnten.
Rund die Hälfte der Vertriebenen in Sur seien Hausbesitzer. Viele könnten jedoch nicht in ihre Häuser zurückkehren, weil diese noch im Sperrgebiet lägen oder ohnehin zerstört seien. Einige Häuser seien geplündert und rassistische Slogans an Wände gesprüht worden.
Die Forderung: Amnesty International verlangt von den türkischen Behörden, dass die Vertriebenen «sicher und mit Würde» in ihre Häuser zurückkehren könnten oder sich freiwillig in anderen Landesteilen niederlassen dürfen.