Eine Astronautin und ein Astronaut der Nasa müssen wesentlich länger auf der Internationalen Raumstation ISS bleiben als erwartet. Eigentlich hätten Suni Williams und Barry Wilmore nur eine Woche auf der Raumstation bleiben sollen, nun könnten sie erst im Februar zurückkehren. Der Grund sind Probleme mit dem Raumschiff «Starliner» des Herstellers Boeing, das die beiden im Juni zur ISS gebracht hat. Thomas Zurbuchen, ehemaliger Forschungsdirektor der Nasa, spricht über die physischen und psychischen Herausforderungen, die eine solche Situation mit sich bringt.
SRF News: Wie geht man als Astronautin oder Astronaut damit um, wenn der Aufenthalt im All plötzlich wesentlich länger dauert?
Thomas Zurbuchen: Die Astronautin Suni Williams und der Astronaut Barry Wilmore gingen mit der Erwartung ins All, nur acht Tage auf der ISS zu verbringen. Jetzt sind sie bereits seit acht Wochen dort – das ist eine völlig andere Situation.
Je länger die Unsicherheit anhält, desto grösser wird dieser Druck.
Beide haben eine militärische Ausbildung, die sie auf aussergewöhnliche Situationen vorbereitet hat. Es werden viele Dinge bei dieser Reise miteingeplant, auch Verlängerungen. Dennoch gibt es mentale Herausforderungen.
Sprechen wir über das Mentale. Ein Beispiel: Eine Astronautin sagt ihrem Kind, sie sei zu seinem Geburtstag wieder zurück, muss dann aber ungeplant länger im All bleiben. Was bedeutet das psychologisch?
Der psychologische Druck von Astronautinnen und Astronauten ist gross, obwohl selten darüber gesprochen wird. Suni Williams und Barry Wilmore sind super ausgebildet und wissen, wie man mit solchen Situationen umgehen muss. Dennoch ist dieser Druck da, besonders für die Familie. Angehörige sehen die Gefahr einer Weltraummission anders, als wenn man nur darüber liest. Je länger die Unsicherheit anhält, desto grösser wird dieser Druck.
Wie wird die Logistik gehandhabt, wenn ein Aufenthalt unerwartet verlängert wird? Man packt schliesslich anders für eine Woche als für ein halbes Jahr.
Die Versorgung der ISS funktioniert ähnlich wie die einer Schweizer Alphütte, die mit einem Helikopter beliefert wird. Regelmässig werden Nahrungsmittel und andere notwendige Güter zur Station gebracht. Diese Versorgungsflüge sind so geplant, dass immer genügend Vorräte vorhanden sind, selbst wenn die Aufenthaltsdauer unerwartet verlängert wird. Es besteht keine Sorge, dass es an Essen oder Trinken fehlen könnte.
Mit welchen weiteren Herausforderungen müssen Astronauten rechnen, wenn unerwartete Probleme auftreten?
Das Erste ist, wie man überlebt. Das Zweite ist die Anpassung der ganzen Arbeit. Das Leben verändert sich nicht nur für Suni Williams und Barry Wilmore an Bord, sondern für alle Astronautinnen und Astronauten, die dort sind.
Auch medizinische Protokolle müssen für längere Aufenthalte angepasst werden.
Sie müssen trainieren, weil sich sonst die Muskeln und Knochen zurückbilden. Sie müssen ihre Routinen anpassen.
Trainiert jemand anders, der für eine Woche ins All geht als jemand, der über ein halbes Jahr dort ist?
Absolut. Für kurze Aufenthalte reicht wenig Training. Aber bei monatelangen Missionen sind Knochen- und Muskulaturübungen und anderes wirklich nötig. Auch medizinische Protokolle müssen für längere Aufenthalte angepasst werden. All diese Massnahmen wurden bereits vor Beginn der Mission in Betracht gezogen.
Das Gespräch führte Tim Eggimann.