Symbolisch wurde Christine Lagarde heute in Frankfurt von ihrem Vorgänger Mario Draghi die Glocke übergeben, mit der die Präsidentin in den Sitzungen des EZB-Rates die Mitglieder zur Ordnung ruft.
Und dieses Instrument kann sie brauchen in diesen turbulenten Zeiten, in denen von Lagarde vor allem diplomatische Qualitäten gefragt sein dürften, die einen Ausgleich zwischen Nord- und Südeuropäern aushandeln kann.
Die Zeichen der europäischen Geldpolitik stehen nämlich derzeit auf Sturm. Im EZB-Rat, dem obersten Entscheidungsgremium der europäischen Zentralbank, brodelt es so sehr, dass die Spannungen zwischen den Mitgliedern aus dem Süden und dem Norden zuletzt auch öffentlich ausgefochten wurden.
Für trockene und diskrete Zentralbanker fast schon eine Ungeheuerlichkeit. Die Entscheidung des EZB-Rates im September, umstrittene Anleihenkäufe wieder aufzunehmen, hatte vor allem Repräsentanten aus Nordeuropa empört.
Laute Kritik aus Nordeuropa
In dieser Hinsicht ist die neue Präsidentin ein Gegenentwurf zu ihrem Vorgänger. Mario Draghi, der Ökonom mit einem prestigeträchtigen Doktorabschluss vom Massachusetts Institute of Technolgy (MIT), rettete mit seiner Geldpolitik zwar den Euro und formte die EZB zu einer modernen Zentralbank – doch seine Kritiker vor allem in Nordeuropa wurden in den letzten Monaten nur lauter, statt leiser.
Das schlimmste Szenario für die Euro-Zone wäre es aber, wenn sich die Mitglieder der europäischen Zentralbank nicht mehr auf einen Kurs einigen könnten, weil sie ihre nationalen Interessen als zu unterschiedlich bewerten.
Christine Lagarde ist keine Ökonomin. Sie ist Juristin, Politikerin und ehemalige Chefin des IWF. Im politischen Ausgleich liegen ihre Stärken: Als IWF-Chefin nahm sie immer wieder eine Vermittlerrolle zwischen Süd- und Nordeuropa ein.
Im besten Fall kann sie auch die Meinungsverschiedenheiten zwischen den süd- und nordeuropäischen EZB-Ratsmitgliedern überwinden. Denn so sehr sich die einzelnen nationalen Interessen unterscheiden mögen, eine handlungsfähige und glaubwürdige EZB liegt im Interesse jedes einzelnen Mitgliedslandes.
Kaum mehr Spielräume
Schliesslich steht die Weltwirtschaft vor einer Abkühlung. Erst vor wenigen Wochen senkte der Internationale Währungsfonds (IWF) seine Wachstumsprognose auf das tiefste Niveau seit der Weltwirtschaftskrise von 2008. Für die europäischen Währungshüter ist das vor allem deshalb beunruhigend, weil ihr Spielraum von Zinssenkungen und Anleihenkäufen praktisch ausgeschöpft ist. Eine in Uneinigkeit gefangene EZB kann in dieser Situation niemand gebrauchen.