Äthiopiens Regierung hat gestern nach achtmonatiger Militäroffensive eine Waffenruhe für die Region Tigray angekündigt. Seit November läuft dort ein blutiger Konflikt mit den lokalen Truppen der Volksbefreiungsfront von Tigray. Tausende kamen ums Leben, Hunderttausende sind auf der Flucht.
Schonzeit bis zur Ernte im September
Zur den Umständen der Feuerpause gibt es eine offizielle und eine wahrscheinliche Version. Die offizielle kommt von Äthiopiens Regierung, welche den Bauern in Tigray in der anstehenden Regenzeit die Möglichkeit zum Pflanzen geben will. Bis zur Ernte im September – womit die Waffenruhe also ungefähr drei Monate dauern soll.
Wahrscheinlicher ist allerdings, dass die äthiopische Armee in den letzten Wochen keine gute Figur gemacht hat, wie Afrika-Korrespondent Samuel Burri erklärt: Die Truppen der Tigray Defence Forces rückten vor und nahmen auch Soldaten der äthiopischen Armee fest.
Gestern wurde zudem fast gleichzeitig mit der Ankündigung der Waffenruhe die Übernahme der Provinzhauptstadt von Tigray, Mekelle, gemeldet. Es sei wohl kaum ein Zufall, dass die Regierung in Addis Abeba eine Waffenruhe angeboten habe, schätzt Burri.
Überraschende Stärke der lokalen Truppen
Noch vor wenigen Wochen schienen die Tigray-Truppen geschlagen und man erwartete eine Guerilla-Strategie. Die neue militärische Stärke kommt entsprechend unerwartet. Dies hänge wohl mit deren Ortskenntnis und der hundertprozentigen Unterstützung durch die Bevölkerung zusammen, so Burri.
Offen blieb gestern, ob die äthiopische Armee aus Mekelle vertrieben wurde oder freiwillig abgezogen ist. Die Tigray-Befreiungsfront TPLF als politischer und militärischer Arm der Tigray meldete die volle Kontrolle über die Provinzhauptstadt und will nun auch die vor dem Konflikt gewählte Regierung wieder installieren.
Weitere Gefechte zu erwarten
Im Moment ruhen die Waffen in der Region noch nicht. Vor allem im Norden gibt es noch eritreische Truppen. Dazu kommen die Milizen der Ethnie der Amhara. Die Tigray wollen nun auch diese beiden Truppenverbände vertreiben. Vieles ist in Tigray noch sehr unklar. Heute wurden die Telefone wieder gekappt. Das Internet funktioniert an sich nicht, und Flüge und Strassen sind unterbrochen.
Auch die humanitäre Lage wird sich vorläufig kaum verbessern, obwohl die Tigray internationalen Organisationen freien Zugang zur Versorgung der Bevölkerung garantierten. Aber schon ein wenig Normalität und weniger Angst vor Angriffen sei für die Menschen ein Fortschritt, schätzt Burri.
Keine Aussicht auf baldiges Ende des Konflikts
UNO-Generalsekretär António Guterres drückte die Hoffnung auf ein baldiges Ende der Kämpfe aus. Doch vermutlich werde es nun erst einmal zu blutigen Vergeltungsmassnahmen seitens der Tigray kommen, sagt Burri. Denn ein Teil des Gebietes ist umstritten zwischen der Ethnie der Amhara und der Tigray.
Auch Äthiopiens Regierung um Präsident Abiy Ahmed und die Tigray-Elite, welche das Land früher dominierte, stehen sich unversöhnlich gegenüber und werden nicht so einfach Frieden schliessen – auch wenn dieser Konflikt ausser viel Leid bisher niemandem etwas gebracht hat. «Darum bin ich nicht sehr optimistisch, dass das nun der Anfang vom Ende des Konflikts in Tigray ist», sagt Burri.