Die Lage in Colombo sei ruhig, aber angespannt, sagt SRF-Korrespondent Thomas Gutersohn. Sorgen bereitet ihm der anstehende Wahlkampf: Die Parteien könnten versucht sein, mit den Attentaten Politik zu machen und die Menschen gegeneinander aufzuhetzen.
SRF News: Sie befinden sich derzeit in Colombo. Wie erleben Sie die Hauptstadt Sri Lankas eine gute Woche nach den verheerenden Terroranschlägen?
Thomas Gutersohn: Es gibt viele Sicherheitskräfte und Checkpoints. Zwar wurde am Sonntag die nächtliche Ausgangssperre aufgehoben, trotzdem sieht man abends nur wenige Menschen in den Strassen. Offenbar trauen sie der Ruhe nicht so recht. Dies wohl auch, weil täglich neue Behördenwarnungen vor weiteren Anschlägen publik werden. Auch wenn sich diese dann nicht bewahrheiten, tragen sie dazu bei, dass sich die Menschen unsicher fühlen. Entsprechend angespannt ist derzeit die Ruhe in Colombo.
An einigen Orten ist es zu Angriffen auf Muslime oder Ausschreitungen gekommen.
Stehen die Muslime in Sri Lanka unter Generalverdacht, weil die Attentate von Muslimen verübt wurden?
Die meisten Menschen in Sri Lanka unterscheiden immer noch zwischen Islamisten und Muslimen. Allerdings kam es in den vergangenen Tagen an einzelnen Orten zu Angriffen auf Muslime oder zu Ausschreitungen. Entsprechend sind die Geschäfte der Muslime derzeit geschlossen. Sie befürchten, dass sich die Angriffe ausweiten könnten.
Richtet sich das seit Montag geltende Verhüllungsverbot vor allem gegen Musliminnen?
Die Massnahme ist Teil der Notstandsgesetze und soll vordergründig die Kontrolle von verdächtigen Personen erleichtern. Verschiedene muslimische Kleriker haben ihre Gemeinschaft dazu aufgerufen, in nächster Zeit auf den Gesichtsschleier zu verzichten. Man muss sich dabei bewusst sein, dass die Muslime in Sri Lanka nur gerade sieben Prozent der Bevölkerung ausmachen. Entsprechend wenige muslimische Frauen mit Gesichtsschleiern sieht man in der Öffentlichkeit. Trotzdem wurden die Notstandsgesetze als Massnahme gegen Terrorismus verkündet – es scheint, damit werde auf Kosten der Musliminnen im Land Politik gemacht.
Die Terroranschläge stellen den sozialen Frieden in Sri Lanka auf den Prüfstand.
Sri Lanka hat in der Vergangenheit stark unter ethnischen und religiösen Spannungen gelitten. Werden diese Wunden nun wieder aufgerissen?
Es ist wohl noch zu früh, dies zu beurteilen. Allerdings liegt eine spürbare Spannung in der Luft. In der Vergangenheit ging die Gewalt meist von buddhistischen Mönchen aus, welche gegen die Minderheiten der Christen und Muslime vorgingen. Auch ist der Bürgerkrieg zwischen Singhalesen und Tamilen erst vor zehn Jahren beendet worden. Noch sind viele Wunden nicht verheilt. Die Terroranschläge von Ostern werden den sozialen Frieden in Sri Lanka deshalb sicher auf den Prüfstand stellen.
Ist sich die Politik dessen bewusst?
Man ist sich dessen sehr bewusst. Die politischen Parteien sind im anstehenden Wahlkampf denn auch versucht, die Wunden aufzureissen und damit Politik zu machen – allen voran die Opposition des früheren Machthabers Mahinda Rajapaksa. Er verweist darauf, es brauche nun wieder einen starken Mann wie ihn, schliesslich habe er damals den Bürgerkrieg beendet. Ob diese Rhetorik tatsächlich verfängt, wird man bei den Wahlen Ende Jahr sehen.
Das Gespräch führte Teresa Delgado.