In Kuba brodelt es. Auf sozialen Medien sieht man Menschen, die gegen Mangelwirtschaft und Unterdrückung protestieren. Der Lateinamerika-Experte Bert Hoffmann sieht darin den Ausdruck wahrer Frustration. Es stecke keine Verschwörung dahinter, wie es die Regierung behauptet.
SRF News: Es heisst, es gebe kaum Lebensmittel oder Medikamente, man müsse alles in den Devisenläden kaufen. Was ist da los in Kuba?
Bert Hoffmann: Die Wirtschaftskrise hat sich dramatisch verschärft in den letzten beiden Jahren. Der Tourismus ist die Haupteinnahmequelle des Landes und der ist ja durch Corona über Nacht eingebrochen. Und auch andere Wirtschaftszweige sind fürchterlich in Mitleidenschaft gezogen worden. Überweisungen aus den USA gibt es nicht mehr.
Es ist im Prinzip ein Hilfeschrei: So geht's nicht weiter.
Donald Trump hatte verhindert, dass das Geld, das Familienangehörige schicken, weiter ins Land fliesst. Insofern hat Kuba wirklich einen massiven Wirtschaftsschock erlebt und das hat sich nun in einer sehr prekär gewordenen Versorgungslage ausgedrückt. Und dagegen richten sich die Proteste. Es ist im Prinzip ein Hilfeschrei: So geht's nicht weiter.
Präsident Miguel Díaz-Canel wandte sich in einer TV-Ansprache ans Volk und sagte, die Proteste seien von den USA über Social-Media-Plattformen und von Söldnern orchestriert. Wie plausibel ist das?
Natürlich gibt es Regierungsgegner. Und natürlich nutzen die alles aus, was gegen die Regierung in Havanna geht. Und natürlich stellen die Oppositionskräfte, die es gibt, das auf die Social-Media-Kanäle. Der Auslöser dafür ist aber nicht eine Konspiration. Die Situation ist nicht mehr zum Aushalten. Dazu kommt die Covid-Krise. Es gibt ganz viel aufgestaute Frustration. Diese entlädt sich, und dazu braucht es keine Kräfte aus dem Ausland. Es war absehbar, dass die Kubaner nicht auf Dauer zu Hause sitzen und denken: Ach, das wird schon werden.
Fahrzeuge der Sicherheitskräfte fuhren mit Maschinengewehren bewaffnet durch die Strassen. Der Präsident rief zudem die Kommunisten im Land auf, auf die Strasse zu gehen und die Revolution zu verteidigen. Wie explosiv ist diese Lage?
Zunächst einmal wird die kubanische Regierung versuchen, die Anhängerinnen und Anhänger der Revolution – von den Sicherheitskräften über die Staatsangestellten bis hin zu den Studierenden – zu verpflichten, auf die Strasse zu gehen. Das geht mit Verhaftungen einher, aber bei dem Aufruf geht es im Prinzip darum, den öffentlichen Raum durch pro-Regierungsdemonstrationen zu besetzen.
Es kann gut sein, dass die Strassenproteste zwei Wochen später wieder aufflammen.
Ich glaube, kurzfristig wird die Regierung ihre Leute dafür mobilisieren können. Damit wird sie das Versorgungsproblem und die Frustration, die daraus entstanden ist, aber nicht lösen können. Damit kriegt sie vielleicht die aktuellen Strassenproteste wieder eingedämmt. Aber es kann auch gut sein, dass diese zwei Wochen später wieder aufflammen.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.