Die Schlagzeilen in Deutschland haben es gerade in sich: «Der Schock», heisst es heute. Oder: «Ein Alarmsignal für die Demokratie». Erstmals hat die AfD ein wichtiges Gemeindeamt erobert – in Thüringen. Der CDU-Konkurrent unterlag, obwohl alle anderen Parteien gegen die AfD zusammengespannt hatten. Was das für Deutschland bedeutet, analysiert SRF-Korrespondentin Simone Fatzer.
SRF News: Wieso hat der AFD-Mann Sesselmann die Wahl gewonnen?
Simone Fatzer: In der Bevölkerung gibt es viel Unsicherheit und Spannungen. Das hat nicht nur, aber auch, mit der deutschen Bundesregierung von Olaf Scholz zu tun: Es gibt viel Streit in der Koalition, sie leistet sich viele Fehler. Die Unzufriedenheit mit der Regierung in Berlin ist entsprechend gross. Die Menschen sind verunsichert durch Krieg, Inflation und Energiewende. Das weiss die AfD zu nutzen, um die Leute zu radikalisieren. In der AfD-Hochburg Thüringen erhält die Partei ausserdem grundsätzlich viel Zustimmung, die AfD überzeugt die Wählerinnen und Wähler mit ihrer prorussischen, fremdenfeindlichen und anti-grünen Einstellung.
Was kann Sesselmann als Landrat bewirken?
Ein Landrat verwaltet den Landkreis und kann die Politik regional durchaus beeinflussen – über den Haushalt oder die Bauverwaltung. Er kann auch Druck machen auf die Landesregierung. Allerdings sind die Möglichkeiten durchaus begrenzt.
Die AfD schafft neue Fakten und kann auf einer neuen Bühne agieren.
Sesselmann und die AfD warben mit Slogans wie «Gegen Windräder – für Diesel», «Gegen Sanktionen – für billiges Gas aus Russland» oder «Grenzen schliessen». In all diesen Politikbereichen kann der Landrat überhaupt nichts entscheiden. Auch wenn Sesselmann in der Wahlwerbung vielen Menschen aus dem Herzen gesprochen hatte: Umsetzen davon wird er kaum etwas können.
Warum löst seine Wahl einen solchen Aufschrei aus in Deutschland?
Die Wahl hat grosse Signalwirkung für die AfD. Sie konnte sich gegen einen gemeinsamen Kandidaten aller anderen Parteien durchsetzen. Im Bundestag scheitert die Partei immer wieder dabei, in bestimmte Gremien gewählt zu werden – Regierungskoalitionen sind undenkbar. Doch jetzt schafft die AfD neue Fakten und kann auf einer neuen Bühne agieren. Man wird Sesselmann kaum verweigern können, mit anderen Landräten zusammenzuarbeiten.
Die AfD hofft so, für die Landtagswahlen im nächsten Jahr Schwung zu holen. Dann wird in drei ostdeutschen Bundesländern gewählt. Und: Beim AfD-Verband in Thüringen handelt es sich um einen vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Verband, der von Björn Höcke geführt wird.
Was bedeutet dieser AfD-Erfolg für die Politik in Deutschland?
Es wird wohl weitere Wahlsiege der AfD in anderen Landkreisen geben, entsprechend unter Druck stehen jetzt die anderen Parteien. Sie müssen über die Bücher und sich überlegen, wie sie die Menschen zurückgewinnen können, die jetzt AfD wählen. Denn auch die CDU, die ja nicht in der Bundesregierung sitzt, erreicht die AfD-Wählerinnen und -Wähler derzeit nicht mehr.
Es wird sich sehr viel um diese sogenannte Brandmauer drehen, die gegen rechts halten müsse.
Viel zu reden geben wird auch die Frage, wie man mit der erstarkenden AfD umgehen soll. So mussten am Wochenende in Sonneberg ja alle anderen Parteien gegen die AfD zusammenspannen. Nötig sind künftig womöglich also breite Regierungskoalitionen von CDU bis zur Linken, um der AfD noch Paroli zu bieten. Auch wird sich die Frage stellen, wie andere Parteien mit inhaltlichen Übereinstimmungen mit der AfD umgehen. Es wird sich sehr viel um diese sogenannte Brandmauer drehen, die gegen rechts halten müsse.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.