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Libanon Opfer, Täter, Hergang: Was wir über die Explosionen wissen

Im Libanon explodieren gleichzeitig Hunderte Funkempfänger. Die Hisbollah, die die Pager und Funkgeräte zur Kommunikation einsetzt, macht Israel für den Angriff verantwortlich. Was bislang bekannt ist.

Was ist passiert? Am Dienstag um 15.30 Uhr Schweizer Zeit sind in Libanon diverse Pager explodiert. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums wurden mindestens zwölf Menschen getötet und etwa 2800 weitere verletzt. Rund 300 der Verletzten schwebten in Lebensgefahr. Unter den Todesopfern seien ein acht Jahre altes Mädchen und ein elf Jahre alter Junge. Am Mittwochnachmittag ist es erneut zu Explosionen in Libanon gekommen sein. Diesmal sind laut Nachrichtenagenturen Funkgeräte, keine Pager, von Hisbollah-Mitgliedern betroffen gewesen. Es starben mindestens 14 Menschen, rund 450 Personen wurden verletzt.

Soldat leitet Krankenwagen durch eine belebte Strasse.
Legende: Die Ambulanzen sind äusserst gefordert. EPA/WAEL HAMZEH

Wer steckt dahinter? Bislang hat niemand den Angriff für sich reklamiert. Die Hisbollah und sein enger Verbündeter, Iran, machen Israel für die Explosionen verantwortlich. Eine Stellungnahme von Israel gibt es derzeit nicht. Es scheine aber doch eher plausibel, dass Israel hinter dem Anschlag steckt, sagt SRF-Nahostkorrespondent Thomas Gutersohn. Denn: «Wenn tatsächlich von langer Hand Sprengsätze in diese Pager eingesetzt wurden, diese latent gefährlich im Umlauf waren, weist das auf einen extrem gut organisierten, klar kalkulierenden Akteur hin – einen staatlichen Akteur. Es stellt sich die Frage: Wer ausser Israel hat Interesse und auch die Kapazität, das Kommunikationssystem der Hisbollah zu stören und nimmt dabei auch zivile Verletzte in Kauf?»

Wie konnte das passieren? Im Raum stehen laut Raphael Reischuk, Mitgründer und Projektleiter des Nationalen Testinstituts für Cybersicherheit (NTC) zwei Theorien. Einerseits könnte die Batterie, die in den Geräten verbaut ist, über Schwachstellen in der Firmware angesteuert werden, um die Batterie zu überhitzen. «Ob das aber zu einer Explosion reicht, ist noch nicht ganz klar, aber unwahrscheinlich», sagt der Experte. «Wahrscheinlicher ist, dass eine thermische Instabilität der Batterie benutzt wurde, um eine angebrachte elektrische Sprengkapsel mit einem Brückendraht zu zünden.» Wie und wo die Pager manipuliert wurden, ist weitgehend noch Gegenstand von Spekulationen. In manchen Medienberichten wird davon ausgegangen, dass die Funkempfänger vermutlich von israelischen Agenten vor ihrer Lieferung nach Libanon abgefangen und mit Sprengstoff präpariert wurden. 

Vom Smartphone auf Pager umgestiegen

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Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass es sich bei den Pagern um ein für die Hisbollah wichtiges Kommunikationssystem handelte.

Die Miliz ist demnach aus Sicherheitsgründen von Mobiltelefonen auf sie umgestiegen – unter anderem, weil bei Pagern der Aufenthaltsort nicht ermittelt werden kann.

Damit – so die Logik – wären sie auch weniger anfällig für Überwachung oder Angriffe der elektronischen Kriegsführung. Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah hatte seine Anhänger mehrmals vor dem Gebrauch von Smartphones gewarnt. Im Februar rief er seine Kämpfer dazu auf, ihre Smartphones wegzuwerfen.

Wem galt der Angriff? Es wird vermutet, dass Israel die Geräte als Angriff auf Hisbollah-Kämpfer gezielt zur Explosion gebracht haben könnte. Nach Angaben der Hisbollah sind Pager und Funkgeräte explodiert, die von verschiedenen Hisbollah-Einheiten und -institutionen genutzt worden seien. Unter den Verletzten sollen viele Hisbollah-Kämpfer sein, darunter Mitglieder der Elitetruppe Radwan. Auch hochrangige Hisbollah-Vertreter wurden verletzt, wie eine der Miliz nahestehende Quelle bestätigte. Explosionen wurden an zwei Tagen im gesamten Land gemeldet, vor allem in den von der Hisbollah kontrollierten Gebieten.

Situation in den Spitälern

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Das Gesundheitswesen in Libanon leidet stark unter der schon seit mehreren Jahren andauernden Wirtschaftskrise. «Es ist schwierig, in Libanon an Medikamente zu kommen, auch für die Spitäler», sagt Nahostkorrespondent Thomas Gutersohn. Wegen der häufigen Stromausfälle und der Treibstoffknappheit liessen sich Arzneimittel häufig auch nicht korrekt lagern. «Spitäler mussten auch Personal entlassen, weil sie schlicht über die letzten Jahre die Saläre nicht bezahlen konnten.»

Diese grosse Zahl an Verletzten nach den Pager-Explosionen stellt die Spitäler vor eine grosse Herausforderung. «Ein Spitalsprecher sagte heute, dass die Spitäler tatsächlich überwältigt gewesen waren. Dazu kommt, dass es sich nicht einfach nur um Schnittwunden handelt, sondern auch um schwierige Augenverletzungen, welche die Ärzte fordern.»

Man könne jedoch sagen, dass sich die libanesischen Spitäler in den letzten Wochen etwas vorbereiten konnten, so Gutersohn. «Zwar nicht spezifisch auf diese Attacke, aber man rechnete schon seit einiger Zeit mit Anschlägen, mit Verwundeten. So konnte auch zusätzliches freiwilliges Personal aufgerufen werden.»

Wie reagiert Israel? Israels Armee hat die Alarmbereitschaft erhöht. In Erwartung einer möglichen Reaktion der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah seien Luftabwehr, Luftwaffe und Militärgeheimdienst in Israel in erhöhte Einsatzbereitschaft versetzt worden, berichtete der israelische Armeesender.

Frau in rotem Kittel arbeitet in einer Blutbank.
Legende: Eine Frau vom Roten Kreuz sammelt Blutspenden für die Verletzten. AP Photo/Mohammed Zaatari

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SRF 4 News,18.9.2024, 13:30 Uhr ; 

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