Montagfrüh ist der frühere Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, in die Heimat zurückgekehrt. Dort droht ihm lebenslange Haft wegen Hochverrats. Der Vorwurf: Er soll während seiner Amtszeit 2014/15 die pro-russischen Separatisten in der Ostukraine finanziell unterstützt haben. Der freie Journalist Denis Trubetskoy in Kiew sieht eher einen innenpolitischen Machtkampf mit dem amtierenden Präsidenten.
SRF News: Was wird Poroschenko vorgeworfen?
Denis Trubetskoy: Es geht in erster Linie um illegalen Kohlehandel mit der selbsternannten Volksrepublik in Donezk und Luhansk in der umkämpften Ostukraine. Viele der für die ukrainische Industrie wichtigen Kohlegruben lagen damals plötzlich auf Rebellengebiet. Poroschenko soll dabei Ende 2014 quasi den Kohleeinkauf aus Südafrika zugunsten der Kohle aus den Separatistengebieten sabotiert haben. Das soll er gemeinsam mit Putins Mann in der Ukraine, dem Oligarchen und Führer einer pro-russischen Partei, Wiktor Medwedtschuk, vorbereitet haben.
Poroschenko weist diese Vorwürfe als reine Erfindung des aktuellen ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj zurück. Zu Recht?
Die Beweislage in dem komplizierten Verfahren erscheint im Moment äusserst dünn. Die Beweise basieren auf abgehörten Telefonaten, in denen Poroschenko bisher nicht auftaucht. Es gibt tatsächlich auch grosse rechtliche Zweifel, ob diese Aufnahmen überhaupt herangezogen werden können. Zugleich scheint es tatsächlich Beziehungen zwischen Poroschenko und Medwedtschuk gegeben zu haben. So hat dieser in der Amtszeit von Poroschenko unter anderem sein Medienimperium aufgebaut und drei Nachrichtensender gekauft, die dann pro-russisch berichteten. Ganz haltlos scheint es also nicht zu sein.
Geht es auch um einen innenpolitischen Machtkampf zwischen Selenskyj und Poroschenko?
Darum geht es wohl im Kern. Der Wahlkampf von 2019 zwischen Selenskyj und Poroschenko war heftig. Die meisten Menschen stimmten damals für Selenskyj, um eine zweite Amtszeit von Poroschenko zu verhindern. Nun peilt Selenskyj ebenfalls eine zweite Amtszeit an, obwohl er das ursprünglich nicht tun wollte. Es geht womöglich auch um eine persönliche politische Rache, war Selenskyj doch damals von Poroschenkos Wahlkampfteam als drogenabhängig hingestellt worden.
Dies passiert in angespannter Lage. An der Grenze stehen russische Truppen. Wie sind die Reaktionen auf die Rückkehr Poroschenkos in der Ukraine?
Die Reaktionen sind gespalten. Das Thema interessiert nicht die Menschen auf der Strasse, sondern bewegt in erster Linie die politisch aktive Zivilgesellschaft. Da wird der Schritt Poroschenkos zum Teil begrüsst. Es gibt aber auch in und ausserhalb der Ukraine Stimmen, die den innenpolitischen Konflikt angesichts der russischen Gefahr kritisieren. Aussenpolitisch wird höchstwahrscheinlich Moskau davon profitieren. Denn alles, was die Ukraine innenpolitisch destabilisiert, ist für den Kreml gut. Innenpolitisch profitieren wohl beide Seiten. Denn die beiden Erzrivalen Poroschenko und Selenskyj sind irgendwie auch medial voneinander abhängig.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.