In Venezuela spitzt sich der Machtkampf zwischen Präsident Nicolás Maduro und der Opposition zu: Das entmachtete Parlament will Maduro aus dem Amt drängen. Parlamentspräsident Juan Guaido sieht sich als rechtmässigen Präsidenten und wird zu Maduros wichtigstem Gegenspieler.
Gleichzeitig mischen sich die USA und Russland verstärkt in den Machtkampf in dem Land mit den weltweit grössten Erdölreserven ein. Das alles könnte durchaus auf einen grösseren Konflikt hinauslaufen, befürchtet SRF-Südamerika-Korrespondent Ulrich Achermann.
SRF News: Die Lage in Venezuela spitzt sich zu – wieso?
Ulrich Achermann: Das hängt mit dem zunehmenden Interesse der Grossmächte USA und Russland an Venezuela zusammen – aber auch damit, dass das südamerikanische Umfeld Maduro-feindlich geworden ist. Ausserdem ist die Opposition in Venezuela stärker geworden. Ein Mix mit solcher Intensität lag seit vielen Jahren nicht mehr vor.
Die USA haben ans venezolanische Militär appelliert, für eine Absetzung Maduros zu sorgen.
Der venezolanische Parlamentspräsident Guaido hat sich bereit erklärt, die Präsidentschaft vorübergehend zu übernehmen. Verfügt der bis vor Kurzem kaum bekannte 35-Jährige über die dafür nötige Machtbasis in Venezuela?
Nein. Trotzdem sind das mehr als Worte, denn die USA stehen hinter ihm. US-Sicherheitsberater John Bolton appellierte nochmals ans venezolanische Militär, für eine Absetzung Maduros zu sorgen. Zudem hofft das von Maduro entmachtete Parlament nun aufs Militär: Es soll die Maduro-Ära beenden. Das Parlament hat denn auch eine Amnestie in Kraft gesetzt. Sie würde für Militärangehörige gelten, die gegen Maduro meutern.
Wie würden die USA von einem Machtwechsel in Venezuela profitieren?
Vordergründig geht es um die Wiederherstellung von Verfassungs- und Rechtmässigkeit in Venezuela. In den Augen Washingtons hat sich Maduro seine zweite Amtszeit widerrechtlich gesichert. Doch in Tat und Wahrheit geht es wohl ums Erdöl. Venezuela hat die grössten nachgewiesenen Erdölreserven der Welt und befindet sich geografisch in der Nähe der USA.
Die Russen ihrerseits stehen hinter Präsident Maduro. Ebenfalls wegen des Öls?
Selbstverständlich ebenfalls wegen des Erdöls. Moskau hat sich mit Milliardenkrediten Zugang zum venezolanischen Öl verschafft. Hinzu kommen die geopolitischen Zusammenhänge: Mit einer Militärbasis in Venezuela könnten die Russen ihren Einfluss in Südamerika verstärken – und das vor der Nase der Amerikaner. Washington hätte daran wohl wenig Freude.
Aus Sicht der USA haben die Russen auf den amerikanischen Kontinenten nichts zu suchen.
Zeichnet sich um Venezuela ein Machtkampf ab, wie wir ihn aus den Zeiten des Kalten Krieges kennen?
Es könnte tatsächlich so weit kommen – wenn sich die Sache zuspitzt und beide Grossmächte ihre Interessen hartnäckig verfolgen. Für die USA gilt nach wie vor die Monroe-Doktrin: Sie besagt verkürzt, dass Amerika den Amerikanern gehöre. Aus Sicht Washingtons haben die Russen auf den beiden amerikanischen Kontinenten also nichts zu suchen. Je nachdem, wie hartnäckig Moskau das Maduro-Regime nun verteidigt, kann sich der Konflikt durchaus hochschaukeln.
Das Gespräch führte Christoph Kellenberger.