Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist kein Mann des grossen Auftritts. Selbst wenn er Positives verkünden kann, wirkt er unterkühlt. Doch als er nun Stellung nehmen musste zum Scheitern der westlichen Militärallianz in Afghanistan, erschien er zutiefst zerknirscht, ja erschüttert. Von Tragödie und Frustration sprach Stoltenberg. Aus seinem Mund sind das starke Worte.
Wen wundert's. Für die Nato, die zeitweilig 130'000 Soldaten aus Dutzenden von Ländern in Afghanistan stationiert hatte, ist es eine schmachvolle Niederlage – oder wie es etwa der deutsche Kanzlerkandidat Armin Laschet ausdrückt: «Es ist das grösste Debakel, das die Nato seit ihrer Gründung erleidet.» Ein Debakel, mit dem niemand ernsthaft gerechnet hatte.
Wahl zwischen zwei Übeln
Ein Blick zurück: Noch 2015 plädierte Stoltenberg entschieden für ein fortgesetztes Engagement. Zumal man ja vor Ort beim Aufbau der afghanischen Streitkräfte und der Stabilisierung des Landes markante Fortschritte erziele. Die Botschaft ans afghanische Volk lautete: Wir lassen euch nicht im Stich.
Jetzt, sechs Jahre später, ist von Fortschritten keine Rede mehr. Die Alternative war zuletzt offenkundig eine völlig andere – nämlich eine Wahl zwischen zwei Übeln: Entweder abziehen – mit dem Risiko, dass die Taliban wieder die Macht übernehmen. Oder Jahre, ja, Jahrzehnte bleiben und allenfalls sogar die Kampfeinsätze wieder aufnehmen. Alles ohne jede Aussicht auf nachhaltigen Erfolg.
Dass der tragische Kollaps nun so brutal und so rasch erfolgte, sei dem Totalversagen der afghanischen Führung zuzuschreiben, findet der Nato-Chef. Immerhin räumt er ein, dass man nun auch die eigene Rolle kritisch überprüfen und Lehren daraus ziehen müsse. Welche Lehren genau, sagte er nicht. Doch eine liegt auf der Hand: Derart ehrgeizige Aufgaben, also aus einem völlig zerrütteten Land wie Afghanistan eine stabile, demokratische Nation zu formen, wird die Nato so bald nicht wieder übernehmen.
Warnung vor Ausübung von Terroranschlägen
Dazu, wie es nun weitergehen soll, gibt man sich am Sitz der Allianz nach einem Treffen des Nato-Rates kleinlaut. Konkret zu sagen, gibt es nur, die Evakuierung der eigenen Leute habe nun Priorität. Danach dürfte sich die Nato einzig dann erneut und bloss noch ganz punktuell militärisch engagieren, falls aus Afghanistan wie schon 2001 Terroranschläge auf westliche Länder lanciert werden. Dies als Warnung an die Taliban gerichtet.
Zur Zukunft Afghanistans und dessen Bevölkerung ist darüber hinaus so gut wie nichts zu hören: Nicht von der Nato, nicht von der EU, nicht aus Washington oder anderen westlichen Hauptstädten. Eines der grössten politischen Projekte der vergangenen zwei Jahrzehnte wird damit begraben. Sang- und klanglos.