SRF News: Die aktuellen Wahlresultate aus Prag sehen nach einem ziemlichen Rechtsrutsch aus.
Urs Bruderer: Ja, das ist ein Rechtsrutsch in Tschechien, weil die regierenden Sozialdemokraten (ČSSD) massiv verloren haben. Aus der stärksten Partei der letzten Wahlen wurde jetzt eine Kleinpartei. Es ist aber nicht nur ein Rechtsrutsch, sondern auch eine Abwendung von der EU. Die EU-kritischen Kräfte legten zu, die EU-freundlichen Parteien haben verloren. Und vor allem ist es eine Absage an die traditionellen Parteien. Dahinter steht ganz eindeutig der Wunsch nach einem tiefgreifenden Wandel.
Babiš könnte Regierungschef werden. Welchen Eindruck haben sie von diesem Mann?
Subtile politische Überlegungen scheinen ihn nicht wirklich zu interessieren, dafür hat er seine Gegner umso schwerer beleidigt. Er arbeitet mit ziemlich einfachen Slogans, ist aber auch ein kluger Taktiker. Den Rechtspopulisten Tomio Okamura von der SPD hatte er als gefährlichen Mann bezeichnet, vor dem man sich hüten müsse. Babiš hatte vermutlich schon im Voraus geahnt, dass die unentschiedenen Wähler sich überlegen werden, ob sie Okamura oder ihm die Stimme geben sollen.
Babiš wird als «tschechischer Donald Trump» bezeichen. Wird ihm das gerecht?
Ich würde sagen Nein, den Babiš wirkt trotz allem in jedem Moment zurechnungsfähig. Und er hat als Finanzminister eigentlich ziemlich verlässlich gearbeitet. Er ist kein Ideologe, sondern ein Pragmatiker. Vor extremen Massnahmen scheut er zurück. Und er umgibt sich mit klugen Leuten und pflegt die dann auch. Der Vergleich mit Trump scheint mir eigentlich irreführend.
Im tschechischen Parlament sitzen neu viele EU-kritische Parteien. Was bedeutet das für Tschechien und für die EU?
Die Stimmung in der Bevölkerung in Tschechien war ja schon immer erstaunlich EU-kritisch. Die Frage ist jetzt aber, was in der Regierung in dieser Hinsicht geschieht. Konkret also die Frage, mit wem Babiš eine Koalition eingehen wird. Möglich ist derzeit eine Koalition mit EU-freundlichen Parteien. Dann bliebe Prag wohl ein zugänglicher Partner für die EU. Aber selbst dann sind die Träume einer tiefen Integration, oder der Einführung des Euro, vorerst wohl geplatz. Und Tschechien reiht sich da zu den Ländern im Osten der EU, die diese Pläne eher kritisch sehen.
Auch für Tschechien ist diese Wahl eine Zäsur. Die traditionellen Parteien kämpfen zum Teil ums Überleben. Babiš muss jetzt zeigen, was er kann. Und er muss zeigen, ob er er wirklich der Retter ist und das politische System neu starten kann, oder ob er doch ein Oligarch ist, den die Macht nur interessiert, weil sie für ihn und seine Geschäftsinteressen von Nutzen sein könnte.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.