Frankreich und Deutschland streiten sich in aller Öffentlichkeit darüber, wie weit die Unterstützung für die Ukraine gehen soll. Emmanuel Macron hat laut über den Einsatz westlicher Bodentruppen in der Ukraine nachgedacht. Was ihm umgehend einen Rüffel von Olaf Scholz einbrachte. Wie zerrüttet ist das Verhältnis zwischen Berlin und Paris? Und freut sich mit Wladimir Putin der Dritte? Ronja Kempin von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin ordnet ein.
SRF News: Wie würden Sie das Verhältnis von Frankreich und Deutschland beschreiben?
Ronja Kempin: Das Verhältnis zwischen den beiden ist angespannt, sehr schwierig – und es fehlt das Vertrauen.
Woran liegt es, dass das Vertrauen fehlt?
Die beiden Staaten haben sehr unterschiedliche Grundphilosophien in der Aussen- und Sicherheitspolitik. Diese sind bekannt – treten seit Beginn des Krieges aber wieder stark in den Vordergrund, insbesondere gekennzeichnet durch Deutschlands enge Anbindung an die USA und die Nato. Frankreich ist eher wieder der Meinung, das Ganze europäisch lösen zu können. Weiter sind sowohl Olaf Scholz als auch Emmanuel Macron innenpolitisch in sehr schwierigen Fahrwassern unterwegs.
Ich glaube, den Bundeskanzler stört, dass die Franzosen zwar immer schöne Reden schwingen, aber am Ende doch recht wenig an Substanz herauskommt. Da ist ihm jetzt wohl langsam der Geduldsfaden gerissen.
In Deutschland haben wir die höchst zerstrittene Ampelkoalition. Immer wieder werden politische Entscheidungen – auch die des Kanzlers – offen hinterfragt. In Frankreich hat Emmanuel Macron Angst, von Marine Le Pen in den Europawahlen vorgeführt zu werden – er braucht dringend einen politischen Erfolg. Ein weiteres Problem: Das persönliche Verhältnis zwischen beiden scheint nicht intakt zu sein. Viele Beobachter sagen, der deutsche Bundeskanzler schaue mehr nach Mittelosteuropa – Frankreich habe für ihn nicht mehr die gleiche Bedeutung wie noch unter Angela Merkel. Und die Franzosen zeigen sich darüber bisweilen doch sehr verschnupft.
Weshalb geht Olaf Scholz in der Ukraine-Frage nun derart undiplomatisch auf Distanz zu Macron – und klemmt die Debatte über europäische Soldaten in der Ukraine einfach ab?
Olaf Scholz wartet wohl weiter darauf, dass sich die USA politisch bewegen können, dass Präsident Biden eine gewisse Beinfreiheit wiedererlangt. Wir haben das bei allen militärischen Entscheidungen von grösserer Tragweite gesehen, Deutschland hat immer gewartet, um im Gleichklang mit Washington vorzugehen. Wir haben das bei der Entscheidung über Leopard gesehen – ich denke, wir werden es auch bei Taurus wieder sehen.
Ich glaube, den Bundeskanzler stört, dass man sieht, dass die Franzosen zwar immer schöne Reden schwingen, aber am Ende doch recht wenig an Substanz herauskommt. Da ist ihm jetzt wohl langsam der Geduldsfaden gerissen.
Wladimir Putin im Kreml ist sicher derjenige, der im Moment die Champagnerkorken knallen lässt
Das angespannte Verhältnis der beiden grössten Länder der EU zeigt, dass es keine bedingungslose Unterstützung für die Ukraine gibt. Wie kommt das bei Putin an?
Wladimir Putin im Kreml ist sicher derjenige, der im Moment die Champagnerkorken knallen lässt. Er lässt ja keine Gelegenheit aus, Schwäche, die die europäischen Staaten zeigen, für sich zu nutzen. Und wenn sich die beiden wichtigsten Partner in Europa derart lautstark auf offener Bühne zerstreiten, dann spielt ihm das natürlich unweigerlich in die Karten.
Das Gespräch führte Iwan Lieberherr.