Kürzlich war es soweit: Das russische Passagierflugzeug MS-21 hat erstmals abgehoben. Stolz verkündete der Nachrichtensprecher am russischen Staatsfernsehen die Neuigkeit. «Das Flugzeug wird dereinst mit Boeing und Airbus konkurrieren», gab sich der Mann überzeugt.
Hersteller des MS-21 ist der staatliche Luftfahrkonzern OAK. Der Jet ist für mittlere Strecken konzipiert und soll zwischen 130 und 210 Passagieren Platz bieten. Glaubt man den Angaben des Herstellers, wird der MS-21 ein wahrer Wunderflieger: Die Maschine sei leichter als die Jets der Konkurrenz, ihre Aerodynamik sei besser und ausserdem biete sie mehr Platz im Passagierraum.
Skeptische Spezialistin
Doch die Moskauer Publizistin und Luftfahrtexpertin Anastasia Dagaeva ist skeptisch, dass der MS-21 dereinst Boeing und Airbus konkurrieren wird. «Wie soll das sein?», fragt sie. «Sind unsere Leute so viel genialer als jene bei Boeing und Airbus?» Auf dem Papier sähen neu entwickelte Flugzeuge immer besser aus als später im Einsatz, ergänzt sie.
Wie gross das Potenzial des neuen russischen Passagierjets tatsächlich ist, wird sich erst zeigen, wenn er dereinst auf internationalen Flugmessen präsentiert wird.
Dagaeva glaubt, dass der MS-21 auf dem Weltmarkt Mühe haben werde. Schliesslich reiche es heute nicht mehr, einfach ein Flugzeug zu verkaufen. Ebenso wichtig sei die weltumspannende Servicestruktur für den Flieger. «Da wird es die MS-21 gegen die Giganten Airbus und Boeing sehr schwer haben», ist sie überzeugt.
Russische Grossmacht-Phantasie
Dagaeva vermutet psychologische Gründe, wieso Moskau den Aufwand für die Konstruktion eines neuen Flugzeugs betreibt, das vielleicht kaum jemand haben will. «Das ist ein Reflex des Grossmacht-Denkens», sagt sie. Denn nur wenige Länder hätten eine eigene Flugzeugindustrie, und Russland möchte gerne auch dazu gehören.
Tatsächlich ist die Luftfahrtindustrie in Russland Chefsache. Vor rund zehn Jahren gründete Präsident Wladimir Putin den staatlichen Luftfahrtkonzern OAK. Damit wurde die ganze Branche in Russland unter ein Dach gebracht. Dazu gehören die Kampfjets der Marke MIG und Suchoi sowie zivile Projekte.
Ein Jet für die Geheimdienste
Der Staat sei der grösste Nutzniesser des MS-21, sagt Dagaeva. Zahlreiche staatliche Strukturen – wie das Verteidigungsministerium oder die Geheimdienste – würden einen eigenen Flugzeugpark unterhalten. Bisher nutzen sie zur Passagierbeförderung vor allem alte Tupolew-Maschinen, die grösstenteils noch aus der Sowjetzeit stammen und ersetzt werden müssen.
Der Passagierjet MS-21 dürfte dabei das Flugzeug der ersten Wahl sein. Schliesslich können russische Spione schlecht mit einem europäischen Airbus oder einer amerikanischen Boeing zu ihrem Einsatz fliegen.