Noch einen Tag vor dem grossen Erdbeben in Nepal befand sich der Schweizer SRF-Redaktor Frank Senn im Basislager am Mount Everest. Nun berichtet er live aus einem Hotel in Kathmandu, wo er sich zusammen mit weiteren Leuten im Freien befindet – zu gross ist die Sorge vor weiteren Nachbeben.
SRF: Frank Senn, wie haben Sie das Nachbeben heute erlebt?
Frank Senn: Es war sehr unangenehm. Der ganze Boden bewegte sich, es fühlte sich an wie Wellenbewegungen. Es ist nicht absehbar, wie lange es dauert. Man ist der Natur vollständig ausgeliefert.
Wie ist derzeit die Stimmung bei den Einheimischen?
Die Nepalesen sind sehr ruhig. Es ist bewundernswert, wie die Leute hier damit umgehen. Viele haben ihre Häuser, ihre Existenz verloren und arbeiten trotzdem weiter, auch hier im Hotel. Auf den Strassen macht sich normalerweise eine grosse Hektik breit, mit Fahrzeugen und Lärm. Jetzt ist es fast gespenstisch ruhig – eine angespannte Ruhe, weil man nicht weiss, wie stark die Nachbeben noch sein werden. Man hofft einfach darauf, dass sich die Situation bald entschärfen wird.
Wie ist das Ausmass der Zerstörung?
Sehr problematisch ist es in den alten Städten, wo die Bauten nicht mit Backstein und Mörtel gebaut wurden. Hier zeigt sich ein verheerendes Bild, die Gebäude sind in sich zusammengefallen. Gestern waren wir in der Altstadt von Kathmandu, als das grosse Beben eintraf. Wir konnten uns unter einen Hauseingang retten, während hinter uns die Mauern zusammenfielen und Telefonmasten umstürzten.
Wie intakt ist die Infrastruktur?
Wir kommen nur sehr schwer zu Informationen, das Internet sowie die Telefonleitungen intern funktionieren sehr schlecht. Es gibt Gebiete, die komplett vom Strom abgeschnitten sind.
Wie funktioniert die medizinische Versorgung der Verletzten?
Gestern hat man immer wieder Krankenwagen gehört, es herrschte ein ziemlicher Ausnahmezustand. Ein britischer Journalist erzählte mir, dass die Krankenwagen die Verletzten in den Spitälern abgeliefert haben und sie direkt weitergeschoben wurden in die Operationssäle. Es gab aber auch viele Tote, die in die Spitäler gebracht wurden. Sie wurden einfach zur Seite gelegt. Heute herrscht hier eine Art Schockstarre, ein Warten auf das Ungewisse.
Rettungsflüge von Helikoptern sind zentral für die Hilfe vor Ort, doch das Wetter scheint nicht ideal. Wie gut kommt die Hilfe voran?
Hier in Kathmandu sind die Rettungsarbeiten bisher gut vorangekommen, es gibt auch Rettungsflüge. Sehr problematisch ist es hingegen im Everest-Gebiet. Nach meinen letzten Informationen ist es aufgrund des Wetters schwierig, zu den Opfern zu gelangen. Offenbar sollen es jedoch einige Leute geschafft haben, zu einem Helikopter zu gelangen, der sich in der Mitte des Basislagers befand. Den Gerüchten nach konnten sie ausgeflogen werden.