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May in der Bredouille «Die britische Regierung scheint handlungsunfähig»

In London stehen wichtige Entscheide an – gleichzeitig steigt der Druck auf Premierministerin Theresa May. Diese sei inzwischen praktisch nicht mehr handlungsfähig, sagt SRF-Korrespondentin Engbersen.

SRF News: Theresa May gerät immer stärker unter Druck – auch von Parteikollegen. Wieso fallen diese der britischen Premierministerin derart in den Rücken?

Henriette Engbersen: Seit Oktober sammeln parteiinterne Gegner Mays Unterschriften, um ihren Rücktritt zu verlangen. Bislang sind 40 Signaturen zusammengekommen, 48 braucht es, um Mays Demission zu erzwingen. Das ist durchaus brisant. Mays Problem besteht darin, dass sie es nicht schafft, in wichtigen Momenten zu brillieren. Das begann bei den Wahlen im Juni. Der Termin war ihre Idee, doch nach den Wahlen stand ihre Partei schlechter da als zuvor. Weiter ging es mit mangelnden Fortschritten bei den Brexit-Gesprächen, hinzu kam ihr Hustenanfall während der Programmrede vor den Tory-Parteidelegierten. Nun mussten zwei ihrer Minister innert einer Woche den Hut nehmen. May ist daran nicht alleine Schuld. Doch sie schafft es nicht, bei diesen Herausforderungen mit Stärke aufzutrumpfen.

May versucht sich an der Macht zu halten, indem sie es beiden Flügeln recht macht.

Wird diese Negativspirale May am Ende den Kopf kosten?

Diese Frage stellt man sich in Grossbritannien fast jede Woche. Die Antwort ist bislang stets die gleiche: May kann sich im Amt halten, weil es zu ihr keine Alternative gibt. Ihre Tories sind gespalten in jene, die einen weichen Brexit wollen und jene, die für einen harten Austritt aus der EU sind. Die beiden Flügel können sich auf keinen neuen Kandidaten als Premierminister einigen. May ihrerseits versucht sich an der Macht zu halten, indem sie es beiden Flügeln recht macht. So wird sie de facto allerdings handlungsunfähig: Macht sie gegenüber Brüssel zu grosse Zugeständnisse, schreien die harten Brexiteers auf, gibt sie sich gegenüber Brüssel hart, tun das die anderen in ihrer Partei.

May vor dunklem Hintergrund mit einem Aktenordner im Arm.
Legende: Der Druck auf May nimmt weiter zu – während ihre Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt ist. Reuters

Was bedeuten die Diskussionen um eine Absetzung May für die Brexit-Verhandlungen?

Aus Sicht der Tories ist es tatsächlich nicht sinnvoll, jetzt laut über einen Regierungswechsel nachzudenken. Ihnen geht es allerdings weniger um den Brexit, als um ihren eigenen Machterhalt. Wenn May zurücktreten müsste und sich ihre Partei nicht auf einen Nachfolger einigen könnte, würden Neuwahlen drohen. Das jedoch ist für die Tories ein Schreckgespenst: Denn es wäre nicht ausgeschlossen, dass die Labour-Partei die Wahlen gewinnen könnte.

Das grösste juristische Unterfangen seit dem Zweiten Weltkrieg.

«EU Withdrawal Bill»

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Die Debatte im britischen Unterhaus über das EU-Austrittsgesetz («EU Withdrawal Bill») beginnt heute. Es regelt, wie die derzeit geltenden EU-Verordnungen in britisches Recht überführt werden sollen. Insgesamt sind in den kommenden vier Wochen acht Debattentage angesetzt, um über die mehr als 400 Änderungsanträge abzustimmen.

Im Unterhaus wird derzeit über das Austrittsgesetz verhandelt. Dazu sind mehr als 400 Änderungsanträge eingereicht worden. Warum herrscht so grosse Uneinigkeit?

Es geht dabei beispielsweise um die EU-Landwirtschaftsvorschriften, die in britisches Recht überführt werden müssen. Diese könnte man theoretisch eins zu eins übernehmen. Doch viele Politiker sagen sich, dass man die Gesetze auch abändern könnte, da sie ja jetzt sowieso behandelt werden müssten. Doch beim Inhalt gehen die Vorstellungen dann weit auseinander: Die einen wollen die Landwirtschaft biologischer machen, die anderen wollen sie wettbewerbsfähiger. Jeder will irgendwo etwas verändern oder verbessern. Weil May in einer schwierigen Position ist, kann sie Änderungsideen aber nicht einfach versenken. Deshalb drohen lange Debatten, schliesslich geht es insgesamt um 12'000 Vorschriften. Es heisst, es sei das grösste juristische Unterfangen seit dem Zweiten Weltkrieg.

Auch der Druck von aussen nimmt zu: So trifft May heute Spitzenvertreter der europäischen Wirtschaft, die endlich konkrete Austrittsregelungen sehen wollen. Wie soll eine derart geschwächte Regierungschefin da tragfähige Kompromisse präsentieren?

Das erscheint tatsächlich sehr schwierig. Man könnte die Situation mit einer Fussballmannschaft vergleichen: So lange man sich in der Mannschaft – hier also innerhalb der Regierung – nicht über die Strategie einig ist, kann man keinen Treffer erzielen oder ein Spiel gewinnen. Im Fall der britischen Regierung heisst das, es kann angesichts der Flügelkämpfe kein tragfähiger Kompromiss erzielt werden. Da sind wir wieder beim springenden Punkt angelangt: Der Handlungsunfähigkeit der derzeitigen britischen Regierung.

Das Gespräch führte Marlen Oehler.

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