Nichts, nicht einmal ein Schild unter der Klingel deutet darauf hin, dass in diesem unscheinbaren Mehrfamilienhaus im Süden von Warschau das erfolgreichste Medien-Start-Up Polens arbeitet. Das ist Absicht.
Es wird viel Bullshit herumgeboten zurzeit. Unsere Leser wollen wissen, was wahr ist und was nicht.
Wer der Redaktion von Oko.press seine Meinung sagen will, soll das im Netz tun, sagt Agata Szczęśniak. Widerspruch erregen – das gehört für sie dazu. Aber immer mit Fakten. «Es wird viel Bullshit herumgeboten zurzeit. Unsere Leser wollen wissen, was wahr ist und was nicht.»
Die 38-Jährige hat vor zwei Jahren eine Stelle bei der renommiertesten Zeitung des Landes gekündigt, um in einer abgewetzten Wohnung die Internetseite Oko.press zu lancieren. Ein paar Monate zuvor hatte die nationalkonservative Partei PiS die Wahlen gewonnen. Seither sind ihre Politiker dabei, Polen nach ihrem Geschmack umzubauen.
Das Interesse an Politik wächst wieder
Das habe viele vor allem junge Leute aufgerüttelt, sagt Szczęśniak: «Sie sind heute engagierter, sie sind stärker interessiert an Politik und sie suchen neue Medien.» Medien, die für diejenigen Werte einstehen, welche die Regierung gerade torpediert.
Gleichheit, Frauenrechte, Toleranz, Rechtsstaatlichkeit, eine liberale Demokratie: dafür stehe Oko.press. Im Gegensatz zu herkömmlichen Nachrichtenportalen recherchieren die zwei Dutzend Journalistinnen und Journalisten hier nur zu wenigen Themen.
Unseren Lesern steht es frei zu zahlen oder auch nicht – und sie zahlen.
Sie überprüfen, ob das, was Politiker zur Justizreform sagen, auch wirklich stimmt. Sie decken die Verbandelungen des Umweltministers mit der Holzindustrie auf. Oder sie strengen ein Verfahren gegen einen nationalistischen Parlamentarier an, der ukrainische Pflegerinnen beleidigt.
Leser zahlen freiwillig
900'000 Menschen erreicht Oko.press jeden Monat. In den sozialen Medien kann die junge Internetseite punkto Aufmerksamkeit sogar mit den ganz grossen Portalen in Polen mithalten. Und vielleicht der grösste Erfolg: Oko.press kann sich selbst finanzieren, obwohl auf der Seite alles gratis ist und es keine Werbung gibt.
«Unseren Lesern steht es frei zu zahlen oder auch nicht», sagt Szczęśniak, «und sie zahlen. Das überrascht auch uns und es macht uns stolz.» Ob das so bleibt, wenn der Gegner von Oko.press – die Nationalkonservativen – einmal nicht mehr regieren sollten. Szczęśniak glaubt Ja. Fakten zurechtrücken, das müsse man schliesslich bei allen Politikern.