Zum Jahresende sitzen weltweit so viele Medienschaffende im Gefängnis wie nie zuvor, schreibt die Organisation «Reporter ohne Grenzen» in ihrem Jahresbericht. Belarus hält in Europa am meisten Journalistinnen und Journalisten fest. SRF-Russland-Korrespondentin Luzia Tschirky ist mit den Bedingungen in dem Land vertraut und kennt mehrere lokale Medienschaffende. Sie erläutert deren Lage.
SRF News: Wie muss man sich die derzeitige Situation in Belarus vorstellen?
Luzia Tschirky: Ich bin beispielsweise persönlich bekannt mit Igor Iljasch, dem Mann von Katerina Andrejewa. Diese Journalistin arbeitet für einen unabhängigen Fernsehsender in Belarus und hat einen Livestream von einer friedlichen Demonstration gedreht. Der ging ins Internet. Sie wurde noch vor Ort festgenommen und Anfang dieses Jahrs zu zweieinhalb Jahren Strafkolonie verurteilt. Die Haftbedingungen für alle politischen Gefangenen, zu denen auch Journalistinnen und Journalisten zählen, sind darauf ausgelegt, diese Menschen zu brechen.
Der Bericht von «Reporter ohne Grenzen» streicht heraus, dass in Belarus so viele Journalistinnen inhaftiert sind wie in keinem anderen Land Europas. Mehr Frauen als Männer, nämlich 17. Wie kommt das?
Grundsätzlich ist der Beruf in Belarus, aber auch in Russland und in der Ukraine, sehr stark von Frauen geprägt. Zu Beginn der Protestbewegung im Sommer 2020 hat man seitens der Regierung, seitens Alexander Lukaschenko, Frauen nicht ernst genommen und in ihnen keine Gefahr gesehen. Das hat sich in der Zwischenzeit sehr stark geändert.
Können Sie eine Situation schildern, die Sie vor Ort erlebt haben?
Ich war mit Igor Iljasch an dem Ort, wo seine Frau Katerina Andrejewa festgenommen worden war. Dieser Ort wird sehr stark überwacht von der Polizei, weil er zu einem Symbol der Protestbewegung geworden ist. Wir haben dann gemerkt, dass hinter uns zwei Polizisten gehen.
Wenn man die belarussische Polizei hinter sich hat, muss man möglichst schnell und unauffällig weg.
Wenn man die belarussische Polizei hinter sich hat, muss man möglichst schnell und unauffällig weg. Wir haben versucht, in ein Kinderspital in der Gegend zu gehen. Die Polizisten kamen hinter uns her. Für Igor war klar: Die sind unseretwegen hier, das war’s. Ich lebe nicht in dieser ständigen Bedrohungslage wie die Journalistinnen und Journalisten vor Ort. Die Bedrohungslage für mich persönlich ist viel kleiner als für die Menschen, die von dort kommen.
Was bedeutet die hohe Zahl inhaftierter Medienschaffenden für die Informations- und Pressefreiheit in Belarus?
Nicht mehr an unabhängige Information kommen zu können, ohne sich einer Gefahr auszusetzen, ist ein riesiges Problem. Man kann in Untersuchungshaft kommen, wenn man einem Telegram-Kanal folgt, der von der Regierung für extremistisch erklärt wurde. Es ist für die Menschen nicht mehr wirklich möglich, sich unabhängig zu informieren.
32 Journalistinnen wurden dieses Jahr in Belarus inhaftiert. Was denken Sie, wie wird sich die Lage in Belarus bezüglich Informations- und Pressefreiheit entwickeln?
Aktuell sieht es nicht so aus, als würde die Regierung irgendetwas an ihrer bisherigen Politik ändern, als würde Lukaschenko sich dazu bereit erklären, diese Menschen freizulassen oder als würde sich die Situation insgesamt in eine positive Richtung entwickeln. Ich gehe davon aus, dass es auch im nächsten und im übernächsten Jahr keine unabhängigen Medien geben wird in Belarus, sondern dass diese alle versuchen werden, aus dem Exil zu arbeiten.
Ich gehe davon aus, dass es auch im nächsten und im übernächsten Jahr keine unabhängigen Medien geben wird in Belarus.
Das Gespräch führte Samuel Konrad.