Am Sonntag meldete der Fernsehsender Al Jazeera: Schon wieder seien im Gazastreifen zwei palästinensische Journalisten getötet worden. Die beiden haben für den Sender Al Jazeera und die Nachrichtenagentur AFP gearbeitet. Zwei Raketen hätten das Auto der Journalisten getroffen, berichteten Augenzeugen. Dass Journalisten und Journalistinnen sterben, ist Alltag im Gazakrieg. Zu den jüngsten Tötungen hat sich jedoch sogar US-Aussenminister Antony Blinken am Sonntagabend geäussert. Wieso der Vorfall so viel Aufsehen erregt, erläutert Auslandredaktorin Susanne Brunner.
SRF News: Warum erregt dieser Vorfall derart viel Aufsehen in der arabischen Welt?
Susanne Brunner: Einer der beiden getöteten Journalisten ist der Sohn des sehr bekannten Al-Jazeera-Reporters Wael Dahdouh. Der 53-Jährige ist in Gaza geboren und aufgewachsen und ist in der Region zum bekanntesten Journalisten-Gesicht des Gazakrieges geworden. Im Laufe dieses Krieges wurden seine Frau, seine siebenjährige Tochter, sein 15-jähriger Sohn, ein Enkelkind und weitere Verwandte getötet. Die Bilder Dahdouhs, der in seiner Presseausrüstung über den Leichen seiner Frau, seiner Kinder und seines Enkels zusammenbrach, gingen um die Welt.
Journalistinnen und Journalisten in Gaza arbeiten jetzt unter den schwierigsten Bedingungen überhaupt.
Jetzt wurde auch noch sein ältester Sohn getötet. Dass Wael Dahdouh trotz all diesem Leid weiter berichtet, bewegt sein Publikum so sehr, dass US-Aussenminister Blinken an einer Medienkonferenz in Katar darauf reagieren und Mitgefühl zeigen musste.
Der Fernsehsender Al Jazeera wirft der israelischen Armee vor, diese habe die beiden Journalisten gezielt getötet. Wie reagiert Israel auf diesen Vorwurf?
Die israelische Armee hat gesagt, im Auto seien Terroristen das Ziel gewesen. Beim Raketenangriff auf das Fahrzeug seien halt noch andere Passagiere getroffen worden.
Warum erlaubt Israel ausländischen Journalistinnen und Journalisten nicht, jetzt in den Gazastreifen zu reisen und von dort zu berichten?
Das ist aus journalistischer Sicht völlig unverständlich. Israel sagt immer, zum Schutz der Journalistinnen und Journalisten könnten diese nur mit der israelischen Armee in den Gazastreifen reisen und berichten. Was diese sogenannt «embedded» Medienleute filmen und aufnehmen, müssen sie aber zuerst der israelischen Armee vorlegen. Es ist also keine freie Berichterstattung. Das Verbot für ausländische Medienleute führt dazu, dass diese nur mithilfe palästinensischer Journalisten über Gaza berichten können oder diesen die Berichterstattung ganz überlassen.
Wie glaubwürdig ist die Berichterstattung der lokalen palästinensischen Reporterinnen und Reporter?
Sie ist auf der einen Seite sehr glaubwürdig, eben weil diese Reporter die gleichen Bedingungen erleben wie die Bevölkerung. Sie können nicht aus dem Gazastreifen ausreisen, sind dem Krieg also ausgesetzt. Gleichzeitig ist es natürlich so, dass die Hamas eine freie Berichterstattung nicht erlaubt. Auch sie nimmt Journalisten ins Visier. So warfen Israel und die USA Wael Dahdouh vor, er habe einen Journalistenpreis von der Hamas entgegengenommen. Wahrscheinlich wäre es sehr schwierig gewesen, diesen Journalistenpreis abzulehnen.
Medienschaffende sind bei kritischer Berichterstattung Zielscheibe in einem völlig rechtsfreien Raum.
Und man darf nicht vergessen: Journalistinnen und Journalisten in Gaza arbeiten jetzt unter den schwierigsten Bedingungen überhaupt. Sie wissen nicht, wie sie ihre Familien ernähren, haben selbst kein Daheim mehr, sind mitten im Krieg und bei kritischer Berichterstattung Zielscheibe in einem völlig rechtsfreien Raum.
Das Gespräch führte Vera Deragisch.