Den Britinnen und Briten wurde vor der Brexit-Abstimmung viel versprochen. Das Leben werde billiger, alle EU-Regeln würden wegfallen und die Wirtschaft werde wachsen. Eine knappe Mehrheit sprach sich 2016 dann auch für den Brexit aus. Immer mehr realisieren nun aber, dass ihr Land Probleme hat. Laut einer Umfrage würde heute erstmals eine Mehrheit gegen den Brexit stimmen. SRF-Grossbritannien-Korrespondent Patrick Wülser über die Gründe.
SRF News: Was hat die Meinung zum Kippen gebracht?
Patrick Wülser: Das ist schwer zu sagen. Fairerweise muss man vorausschicken, dass nicht für jedes Problem, egal ob das marode Gesundheitssystem oder die hohe Inflation von elf Prozent, einfach der Brexit verantwortlich gemacht werden kann. Häufig ist es eine Mischung aus schlechter Politik und den Folgen der Pandemie oder des Krieges in der Ukraine. Aber das Nordirland-Protokoll ist sicher der grösste Schadenplatz und die Sollbruchstelle des Brexits.
Dazu kommen der Mangel an Fachkräften und der Einbruch der EU-Exporte um rund 15 Prozent. Da lassen sich die negativen Auswirkungen des Brexits nicht leugnen. Die Versprechen haben sich für die Britinnen und Briten schlicht nicht materialisiert.
Auch das Versprechen, die Migration in den Griff zu bekommen, wurde nicht eingelöst. Grossbritannien verzeichnet rekordhohe Zuwanderungszahlen.
Eine Million Menschen sind im vergangenen Jahr zugewandert – diese Meldung hat vor allem konservative Wählerinnen und Wähler verärgert. Die Einschränkung der Migration war eines der grossen Versprechen des Brexits. Aber: Die Zuwanderungszahlen sind nicht einfach dem Brexit oder der EU zuzuschreiben. Über 700’000 der Zuwanderer sind Studierende aus der ganzen Welt. Daneben sind es vor allem Flüchtlinge aus Afghanistan und der Ukraine. Sogenannte Bootsflüchtlinge, die über den Ärmelkanal kommen, machen von der Million mit 35'000 eine relativ kleine Zahl aus.
Das Schweizer Modell beinhaltet die Personenfreizügigkeit und das ist ein absolutes No-Go.
Ein Zeitungsartikel behauptete letzthin, Premier Rishi Sunak versuche, sich für reibungslosen Handel der EU anzunähern. Er orientiere sich dabei am Modell Schweiz-EU. Die Regierung dementierte das. Alles Schall und Rauch?
Eher ein Déjà-vu. Bereits nach dem Brexit haben britische Politikerinnen und Politiker das «Schweizer Modell» geprüft und liessen es sich in Bern vorstellen. Ob Brüssel überhaupt ein solches Modell noch einmal zulässt, war aber immer offen. Nun soll dieses Modell in Regierungskreisen wieder ein Thema sein. Offiziell wird das aber heftig dementiert – wohl aus zwei Gründen: Das Schweizer Modell beinhaltet die Personenfreizügigkeit und das ist ein absolutes No-Go. Zudem bedeuten die bilateralen Verträge der Schweiz die Übernahme von EU-Regeln. Und das ist für viele Brexiteers schlicht nicht akzeptabel und ein Verrat am Brexit.
Welche Optionen hat Premier Rishi Sunak denn überhaupt, um sein Land aus diesen Brexit-Problemen herauszuführen?
Boris Johnson und Liz Truss sind absolut kompromisslos aufgetreten. Rishi Sunak zeigt sich da umgänglicher, suchte bereits nach seiner Wahl umgehend das Gespräch mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und versprach, das Problem mit dem Nordirland-Protokoll mit Brüssel konstruktiv anzugehen. Und das ist offenbar in Brüssel auch gut angekommen.
In einem solchen Klima Lösungen zu finden, wird nicht einfach.
Konsens ist wohl der einzige Weg, um die verfahrene Situation zu lösen. Aber das löste dann gleich auch Spekulationen aus, ob Sunak allenfalls zum Brexit-Verräter konvertiert sei. In einem solchen Klima Lösungen zu finden, wird nicht einfach.
Das Gespräch führte Daniel Hofer.