In den EU-Ländern ist die Wirtschaft nach den Pandemiebeschränkungen im Aufschwung. Nicht so in Grossbritannien. SRF-Wirtschaftsredaktor Philippe Erath erklärt die Hintergründe.
SRF News: Der Brexit sei schuld an der wirtschaftlichen Lage, sagt die britische Zentralbank. Wie zeigt sich das?
Philippe Erath: Ganz einfach durch nackte Zahlen: Das Bruttoinlandsprodukt im Vereinigten Königreich ist weiterhin geschrumpft. Es liegt 0.7 Prozent unter Vor-Covid-Niveau. Das ist eine Schlappe, wenn man es vergleicht mit den USA oder mit der Eurozone. Dort ist die Wirtschaft kräftig gewachsen – in den USA um 4.2 Prozent, in der Eurozone um 2.1 Prozent. Zudem ist die Inflation in Grossbritannien mit über 11 Prozent erschreckend hoch.
Die Folgen des Brexits sind ja fast eine Art Tabu in Grossbritannien. Jetzt äussert sich mit der Zentralbank eine offizielle Stelle ziemlich deutlich. Wie müssen wir das einordnen?
An der Macht sind Pro-Brexit-Leute – wie der jetzige Premier Rishi Sunak. Deshalb lautet die Losung: Es kann nicht sein, was nicht sein darf. Wie auch schon die Vorgänger gibt man nun dem Ukraine-Krieg oder auch Corona die Schuld. Das ist aber natürlich nicht sehr glaubwürdig. Denn auch im Rest der Welt hatte man Corona und jetzt die Folgen des Ukraine-Kriegs. Aber dort läuft die Wirtschaft, zumindest bis jetzt, richtig gut.
Den Effekt des Brexits kann man nicht wegreden.
Und auch noch spannend: Die Bank of England muss offiziell neutral sein. Das heisst, sie kann nicht jemanden bezichtigen. Aber sie kann auch nicht leugnen. Und den Effekt des Brexits kann man nicht wegreden.
Der neue Finanzminister Jeremy Hunt sagt, der Fachkräftemangel sei ein grösseres Problem für die britische Wirtschaft als der Brexit. Wie schätzen Sie das ein?
Ja, das ist tatsächlich ein Problem und auch die Bank of England teilt diese Meinung. Durch Corona haben sich viele Leute in England aus der Arbeitswelt verabschiedet. Zudem sind auch viele ausländische Arbeitnehmende wegen des Brexits nach Hause gegangen. Sie dachten, sie können nicht mehr bleiben, obwohl dies nun revidiert ist. Neue Leute aus der EU kann man nicht holen, da man zuerst die Einwanderungsgesetze anpassen müsste. Also ein ziemliches Chaos.
Ein Budget zu machen, ist auch immer ein bisschen Wirtschaftspolitik.
Übrigens auch ein Chaos ist was Liz Truss, die Vorgängerin von Rishi Sunak, angerichtet hat mit ihrem Budgetvorschlag, der hinten und vorne nicht aufging. Danach kamen die Finanzmärkte in Panik und das war auch nicht gut für die Wirtschaft.
Stichwort Budget: Die neue Regierung von Premierminister Rishi Sunak stellt die Budgetpläne vor. Inwiefern versucht die Regierung damit auch etwas gegen die Folgen des Brexits zu tun?
Ein Budget zu machen, ist auch immer ein bisschen Wirtschaftspolitik. Nur jetzt im Moment hat die Regierung in Grossbritannien wenig bis gar keinen Spielraum, eine gute Wirtschaftspolitik zu machen. Sie muss zuerst schauen, dass die Staatsfinanzen wieder ins Lot kommen. Das heisst, das, was sie jetzt tun muss, ist Gift für die Wirtschaft. Sie muss die Steuern erhöhen und die Ausgaben kürzen.
Man muss zwingend den Arbeitsmarkt Richtung Europäische Union wieder offener gestalten.
Fazit: Die Regierung kann eigentlich im Moment nichts tun gegen den Brexit. Künftig gibt es schon Optionen. Man kann beispielsweise versuchen, die Handelshemmnisse zu beseitigen. Und man muss zwingend den Arbeitsmarkt Richtung Europäische Union wieder offener gestalten.
Das Gespräch führte Isabelle Maissen.