In San Remo sucht Italien nun schon die ganze Woche das schönste Canzone – das schönste Lied. Die Küstenstadt im Nordwesten Italiens ist aber weit mehr als nur die Glitzerbühne des populären, italienischen Musikschaffens.
Denn in San Remo kommt immer auch viel von dem aufs Parkett, was das Land sozial oder politisch umtreibt. Gestern war es die Landwirtschaft.
Moderator Amadeus verlas fast schon feierlich ein Communiqué der Bäuerinnen und Bauern. Darin hiess es: Für den grössten Teil unserer Produkte erhalten wir viel zu wenig Geld. Sie decken nicht einmal unsere Produktionskosten. Wir wollen keine Finanzhilfen oder Subventionen, wir wollen faire Preise für unsere Produkte.
Ich will für meine Produkte einen Preis, der meine Kosten deckt.
Ganze 68 Prozent der eingeschalteten Empfangsgeräte in Italien waren am Freitag auf San Remo eingestellt. Millionen von Bürgerinnen und Bürgern hörten und sahen den verzweifelten Appell der Bäuerinnen und Bauern.
Am Freitag liess die Polizei aber auch erstmals vier Traktoren zu einem sehr symbolischen Marsch auf Rom in die Innenstadt, zu den Palazzi fahren. Einer der Bauern sagte genau das, was schon in San Remo zu hören war. «Ich will für meine Produkte einen Preis, der meine Kosten deckt.»
Von Bauern hört man immer wieder: «Für ein Kilo Kopfsalat bekommt man 40 Cent, im Laden aber wird ein Kilo Salat gewaschen und verpackt für 10 Euro verkauft.» Das sei ungerecht. Zudem steigen die Preise für Diesel, Benzin oder Strom und auch die Steuern. Oder: Wegen der Trockenheit müsse man ständig bewässern, was ebenfalls koste.
Melonis Schwager als Buhmann
Umfragen zeigen: Acht von zehn Italienerinnen und Italiener verstehen die Sorgen der Bäuerinnen und Bauern. Das setzt die Regierung von Giorgia Meloni ganz gehörig unter Druck. Auch weil Meloni nicht irgendwen, sondern ausgerechnet ihren Schwager zum Landwirtschaftsminister befördert hat.
Francesco Lollobrigida, ein Mitglied der Familie Meloni, ist nun der Buhmann. Gestern hat er, unter grossem Druck, den Protestierenden ein erstes Zugeständnis gemacht: 90 Prozent aller Betriebe sollen von einem Steuerrabatt profitieren.
Doch mit diesem Steuergeschenk sind längst nicht alle zufrieden: «Ein Zuccherino, ein Zückerchen sei ihnen da verabreicht worden.» Da müsse noch mehr kommen, sagte ein Bauer dem Fernsehsender RAI.
Regierung zieht nicht am selben Strang
Bedenklich für Meloni ist es, dass in ihrer Regierung längst nicht alle am gleichen Strang ziehen. Matteo Salvini, der Chef der Lega, lässt sich seit Tagen zusammen mit protestierenden Bauern ablichten und verspricht noch mehr Geschenke. Salvini, der in allen Wahlumfragen weit hinter Melonis Brüder Italiens zurückliegt, hat Morgenluft gewittert.
Um ihm Wind aus den Segeln zu nehmen, wird Meloni den Bauern wohl ihrerseits weitere Zugeständnisse anbieten müssen. Das wissen die Bauern. Und darum bleiben sie ante portas – vor den Türen. Hunderte Traktoren warten weiter vor den Toren der Stadt Rom, um irgendwann bis ins Zentrum zu fahren.