An diesem Wochenende kann Giorgia Meloni ihr einjähriges Jubiläum als Ministerpräsidentin feiern. Das heisst schon etwas in einem Land, in dem eine Regierung im Durchschnitt nur anderthalb Jahre im Amt ist. Doch Giorgia Meloni ist nicht in Sektlaune. Zum ersten Mal rumpelt es so richtig. Der Grund: «It’s the economy, stupid», um ein berühmtes Bonmot von Bill Clinton zu gebrauchen.
Trübe wirtschaftliche Aussichten
Die Aussichten für die italienische Wirtschaft sind nicht gut. Das Wirtschaftswachstum ist in diesem und im nächsten Jahr deutlich geringer als prognostiziert. Und auch das Haushaltsdefizit wird dieses und nächstes Jahr deutlich höher ausfallen als ursprünglich geplant. Das ist gefährlich in einem Land, dessen Schuldenquote die zweithöchste in der EU ist.
Die Märkte werden nervös: Der Spread, sprich, die Zinsdifferenz zwischen den italienischen und den als sicher geltenden deutschen Staatsanleihen hat auch heute wieder die kritische Marke von 200 Basispunkten überschritten. Die höheren Zinsen kosten Italien Milliarden. Schon jetzt zahlt Rom rund 75 Milliarden Euro jährlich an Schuldzinsen, mehr als doppelt so viel, wie es für die Armee ausgibt.
Melonis wertlose Versprechen
Giorgia Meloni erhöht trotzdem die Ausgaben, weil sie wenigstens teilweise ihre Wahlversprechen erfüllen will. Geringverdienende, das Gesundheitswesen und Familien mit Kindern sollen mehr Geld erhalten. Das ergibt Sinn, denn Italien hatte noch nie so wenig Geburten seit seiner Gründung 1861, die Bevölkerung gehört zu den ältesten der Welt und die Frauenerwerbsquote beträgt nur 57 Prozent (Schweiz: 80 Prozent). Aber es ist zu wenig Geld, das sie in die Hand nimmt, in die Hand nehmen kann, um Signifikantes zu bewirken.
Meloni ist in einem Dilemma. Sie kämpft mit strukturellen Problemen, die sie geerbt hat, aber sie hat auch zu wenig getan, um diese strukturellen Schwierigkeiten anzugehen. Stichwort Migration: In Lampedusa werden bis Ende Jahr so viele Migranten wie zur Flüchtlingskrise 2015/16 eintreffen, aber noch immer verfolgt Meloni eine dysfunktionale Politik der symbolischen Symptombekämpfung.
«Alternativlose Meloni»
Und dennoch sei die «politische Lage in Italien aussergewöhnlich ruhig und stabil», beobachtet Giovanni Orsina, Direktor der School of Government an der renommierten LUISS Universität in Rom. Und er kann dieses Paradox auch auflösen: In den letzten zehn Jahren hätten die Wähler immer wieder Protest gewählt: Die linken Cinque Stelle seien aufgestiegen und wieder verglüht. Die rechte Lega habe bei den Europawahlen 2019 triumphiert und sei drei Jahre später abgestürzt.
Die Menschen hätten alles gewählt, was auf dem politischen Markt gewesen sei. Und vor einem Jahr gaben sie schliesslich Giorgia Meloni eine Chance. «Wen sollen sie jetzt wählen, wenn sie enttäuscht sind?», fragt Orsina rhetorisch, «es gibt keine Alternative zu Meloni». Ihre Regierungspartner können sich Neuwahlen im Moment nicht leisten, da sie in den Umfragen schlecht dastehen. Und die linke Opposition, die in Italien traditionell protestfreudig ist, tritt kaum in Erscheinung.