Die italienische Politik verkündet schlechte Nachrichten gerne im Sommer. Die Bürgerinnen und Bürger sind in den Ferien oder zumindest am nahen Strand und werden auf dem falschen Fuss erwischt. So auch jetzt: Rund 170'000 Bezügerinnen und Bezüger des «Reddito di cittadinanza», eines Bürgergelds für besonders Bedürftige, haben in diesen Tagen per SMS den Bescheid erhalten, dass sie keine Unterstützung mehr kriegen.
Die Aufregung ist gross im Land. Zum Beispiel in Neapel, wo besonders viele Menschen vom Reddito abhängig sind, gab es einen Ansturm auf die Sozialämter. Aber auch Bürgermeister von links und rechts zeigten sich verärgert, weil sich viele an die Kommunen wandten, obwohl Rom für den Reddito zuständig ist. Rom wiederum kann zu Recht sagen, dass diese Einstellung angekündigt war.
Die sukzessive Abschaffung des Reddito wurde im letzten November im Haushaltsgesetz beschlossen. Bedürftige, Langzeitarbeitslose und Alleinstehende sollten nur noch während der ersten sieben Monate dieses Jahres den Reddito erhalten. Verheiratete mit Kindern, über 65-Jährige oder Menschen mit Behinderung erhalten den Reddito noch bis nächsten Sommer. Das war bekannt, aber gerade jene, die vom Reddito leben, lesen selten das Amtsblatt oder nutzen seltener Medien und wurden deshalb überrascht.
Mafia profitiert von sozialem Elend
Die Regierung Meloni will die Sozialhilfe für die Ärmsten deutlich reduzieren, zeitlich und finanziell. Damit will sie die Bezüger des Reddito dazu drängen, eine Arbeit aufzunehmen. Doch gerade die Betroffenen finden schwer einen Job oder nur zu schlechten Bedingungen oder sie gehen in die Schwarzarbeit. Andere werden der Mafia in die Hände getrieben, die zum Beispiel während der Corona-Pandemie Bedürftige versorgte.
Wie soll ich jetzt über die Runden kommen, mit einer Frau, einer Tochter und all den Fixkosten?
Bislang erhielten 1.7 Millionen Menschen den Reddito. Unter ihnen sind Angst und Ärger gross. «Wie soll ich jetzt über die Runden kommen, mit einer Frau, einer Tochter und all den Fixkosten?», klagt etwa ein Mann am italienischen TV. «Das ist eine soziale Bombe», hört man auf der Strasse.
«Abschaffung der Armut» vertagt
Wahrscheinlich werden es viele kleinere soziale Bomben der Empörung und Not sein. In vielen verschiedenen Städten Italiens. Aber grosse, gewaltsame Proteste wie in Frankreich, insbesondere in Paris, sind in Italien nicht üblich. Die Familie wird wie so oft in die soziale Bresche springen.
Eingeführt hatte die Regierung der Cinque Stelle den Reddito. Im September 2018 rief Fünf-Sterne-Politiker Luigi Di Maio vom Balkon des Palazzo Chigi, des Regierungssitzes, unter dem Jubel seiner Anhänger: «Wir haben es geschafft, heute schaffen wir die Armut ab.»
Im TV sprach er damals von einem neuen Sozialstaat und einer Revolution der Arbeitswelt. Das war der «Reddito di Cittadinanza» nie, er betraf nur die Bedürftigsten. Und ja, es gab immer auch Missbrauch; das kann man allerdings bei sehr vielen Projekten und Gesetzen in Italien sagen.