Der junge Afghane taucht mit einer Gruppe anderer junger Männer aus dem Niemandsland zwischen Kroatien und Bosnien auf. Den Migranten war es gelungen, bei Velika Kladuša über die grüne Grenze in die EU zu kommen. Nach sechs Tagen Fussmarsch wurden sie kurz vor dem Übergang nach Slowenien entdeckt: «Männer mit Masken übers ganze Gesicht haben uns weggeschleppt. An der Grenze haben sie mich geschlagen.» Offenbar haben ihn kroatische Polizisten zusammen mit seinen Kollegen ohne Verfahren über die EU-Aussengrenze ausgeschafft. Nach internationalem Recht wäre dies ein illegaler «push back».
Fragen an den Bundesrat
Derweil sinken in der Schweiz die Asylzahlen. Der Bund prüft gar den Verzicht auf einzelne Asylzentren. Auch im Wahlherbst dürften die Themen Asyl und Migration kaum eine Rolle spielen. Die Türsteher an der EU-Aussengrenzen erledigen ihren Job effektiv – auch im Interessen der Schweiz. So stellt sich die Frage: Welche Verantwortung trägt die Schweizer Politik für den Umgang mit Migranten und Flüchtlingen vor den Toren der europäischen Wohlstandszone?
SP-Nationalrätin Samira Marti hat Fragen: «Ich will vom Bundesrat wissen, ob Flüchtlinge in Kroatien Zugang zum Rechtssystem und zum Asylverfahren haben. Es handelt sich schliesslich nicht einfach um eine Staatsgrenze, sondern um eine europäische Aussengrenze.» Der Bundesrat wird die Interpellation voraussichtlich im Herbst beantworten. Bis dann hält sich die Verwaltung mit öffentlichen Auftritten zum Thema zurück.
«Push backs» auf Befehl
Trotzdem gibt es indirekt eine Antwort: In einem Brief an ein Basler Bürgerforum von Ende Juni 2019 hält die zuständige EJPD-Chefin Karin Keller-Sutter fest: «Die Schweiz setzt sich (…) mit Nachdruck dafür ein, dass ein effektiver Grenzschutz nicht zu Lasten der internationalen und europäischen Menschenrechtsnormen gehen darf.» Schengen-Kandidat Kroatien betone, dass er sich an die geltenden Normen und Gesetze halte.
Unterdessen sind in Kroatien mögliche Beweise aufgetaucht, dass illegale «push backs» durchaus System haben könnten: Ein Mann, der angeblich für die Polizei arbeitet, schreibt an die Ombudsfrau für Menschenrechte, dass es klare Befehle gebe, «die Flüchtlinge gewaltsam nach Bosnien zurückzuschicken». Die kroatische Polizeigewerkschaft HSP bestreitet die Echtheit des Briefs. Ihr Präsident Dubravko Jagić sagt zu SRF: «Wie soll die Polizei das Gesetz umsetzen, wenn sie nicht selbst dem Gesetz folgt.»
8500 Asylsuchende allein in Bosnien
In den nächsten Tagen erscheint allerdings auf dem Newsportal Telegram eine Recherche der renommierten Journalistin Barbara Matejčić. Sie hat einen kroatischen Polizisten interviewt, der bestätigt, dass die illegalen «push backs» von Migranten über die Befehlskette befohlen werden: «Wir führten sie ins Grenzgebiet. Dort wurden sie angewiesen, nach Bosnien oder Serbien zurückzukehren. Ohne Registrierung oder Asylantrag. Dies waren die Befehle unserer Vorgesetzten.»
Während in Kroatien der Widerstand gegen das Vorgehen der Polizei wächst, warten in Bosnien nach Schätzungen des UNHCR rund 8500 Asylsuchende darauf, ihr Glück in der europäischen Wohlstandszone zu suchen. Dazu gehört auch die Schweiz. Das Staatsekretariat für Migration (SEM) bemüht sich, die Not vor Ort zu lindern und ist dabei, zusammen mit einer lokalen Organisation die Trinkwasseraufbereitung sicherzustellen. Auch wenn die Schweiz offiziell ihr Handeln auf die EU abstimmt: Als unabhängiger Kleinstaat kann sie ihre Chance nutzen, selbständig zu agieren.