Das grosse Thema ist in Europa zurzeit die Migration. Die deutsche Ampelregierung steht massiv unter Druck und verstärkt jetzt die Grenzkontrollen, um den Zustrom von Flüchtlingen und Migranten zu bremsen. Derweil macht in Österreich die FPÖ im Wahlkampf Stimmung gegen Flüchtlinge. Ungarn droht, Migranten in Bussen nach Brüssel zu schicken. Aus Protest gegen die Migrationspolitik der EU.
Die EU-Zentrale wirkt hilflos und zunehmend gereizt. Die Kommission verweist jeweils auf den eben erst beschlossenen Asyl- und Migrationspakt, an dem sich die EU-Staaten nun orientieren und den sie umsetzen sollten. Das stimmt in der Sache zwar, aber es wird den nationalen innenpolitischen Befindlichkeiten und Debatten nicht immer gerecht.
Schwarzpeterspiel
Gereizt reagiert die EU-Kommission, weil einige EU-Staaten erneut alles Übel in Brüssel zu erkennen glauben. Offensichtlich will niemand politisch verantwortlich gemacht werden in der Asylpolitik, obwohl ganz objektiv alle gemeinsam in der Verantwortung stehen würden. Es sind jeweils immer die anderen, die alles falsch machen.
Die Proteste Polens gegen die verschärften Grenzkontrollen Deutschlands sind nur zum Teil berechtigt. Grenzkontrollen innerhalb der EU sind eigentlich nicht erwünscht, da sie nachweislich den freien Personen- und Warenverkehr behindern. Das System funktioniert mehrheitlich unproblematisch und ist ein Gewinn für alle.
Schluss mit «Augen zu und durch»
Auf der anderen Seite ist der Protest Polens und anderer Nachbarstaaten etwas zynisch. Denn Polen profitierte in der Vergangenheit davon, dass viele Migrantinnen und Migranten durch ihr Land nach Deutschland gingen, um erst dort ein Aufnahmegesuch zu stellen.
Diese Praxis «Augen zu und durch» wird nur wegen der schärferen Kontrollen offengelegt. Die Kritik an Deutschland greift zu kurz, denn es wurde in Asyl- und Migrationsverfahren in der Vergangenheit nicht fair mitgespielt.
Was den im Frühling beschlossene Asyl- und Migrationspakt betrifft, so sind jene Teile davon rechtskräftig in Kraft, wo EU-Recht direkt gilt. In anderen Bereichen gelten Übergangsfristen, weil nationale Gesetze angepasst werden müssen. Die Umsetzung ist also erst am Anfang und eine Praxis muss sich erst etablieren.
Eine Wirkung wird sich nicht kurzfristig, sondern eher mittel- bis langfristig entfalten können. Daran will sich aber vor den Wahlen in einzelnen EU-Staaten niemand mehr erinnern, was für dieses Dossier typisch ist.
Mehr Flüchtlinge als in anderen Jahren?
Kommen 2024 mehr Flüchtlinge und Migranten nach Europa als in anderen Jahren? In den ersten Monaten dieses Jahres waren es im Vergleich zum Vorjahr sogar etwas weniger. Das kann aber auch vom schlechten Frühlingswetter abhängen. Im jährlichen Vergleich sind die Zahlen steigend, nachdem sie 2022 und 2023 wegen der Corona-Pandemie stark rückläufig waren.
Einige Experten vermuten einen gewissen Nachholeffekt, was allerdings noch nicht bestätigt ist. Grob kann man festhalten: Die Asylgesuche in der EU explodieren nicht, steigen aber. Zugleich können die Zahlen rasch in beide Richtungen variieren. Knapp eine Million Asylanträge pro Jahr – um diese Marke herum bewegen sich die Gesuche. Das ist hoch, aber tiefer als im Flüchtlingssommer 2015.