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Migrationspolitik in Israel «Man fragt sich, wie schnell das zusammengeschnürt wurde»

In Israel wollen die einen Flüchtlinge aufnehmen, andere wollen sie nach Afrika abschieben. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat am Montag ein Abkommen präsentiert, das den Status von 16’000 Flüchtlingen legalisiert hätte. Doch in der Nacht krebste er zurück. Warum er es sich anders überlegt hat, erklärt die Journalistin Gisela Dachs.

Gisela Dachs

Journalistin in Israel

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Die gebürtige Deutsche arbeitet als Journalistin und Publizistin in Israel. Sie ist zudem Professorin am DAAD Center for German Studies und dem European Forum an der Hebräischen Universität von Jerusalem. Sie lebt seit mehr als zwei Jahrzehnten mit ihrer Familie in Israel.

SRF News: Warum hat Benjamin Netanjahu das Abkommen mit dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR suspendiert?

Gisela Dachs: Er hat, gleich nachdem er seine Pressekonferenz gehalten hatte, massiven Druck von rechten Koalitionsmitgliedern zu spüren bekommen. Auch die Bevölkerung im Süden von Tel Aviv hat lautstark protestiert. Dort leben viele afrikanische Flüchtlinge.

Daraufhin hat Netanjahu eine regelrechte Achterbahnfahrt durchgemacht. Um halb elf abends hat er auf Facebook geschrieben, das Abkommen werde erstmal auf Eis gelegt.

Hat Netanjahu die nationalistischen Koalitionspartner gar nicht in seinen Plan eingebunden?

Heute Morgen sagen Minister in den Nachrichten, sie hätten zwar vage gewusst, dass es ein Abkommen gebe, aber keine Details. Es wird auch immer deutlicher, dass die erwähnten Drittländer im Westen, nämlich Italien und Deutschland, sagen, sie hätten nichts davon gewusst.

Eine ganze Reihe von Beteiligten hat sich nicht eingebunden gefühlt.

Da fragt man sich, wie schnell das zusammengeschnürt worden ist. Jedenfalls haben sich eine ganze Reihe von Beteiligten nicht eingebunden gefühlt.

Gestern Nachmittag war von einem Durchbruch die Rede. Worum geht es in diesem Abkommen konkret?

Es war ein Meilenstein für alle, die sich in der Flüchtlingsfrage engagiert haben. Israel wollte 16’000 Flüchtlingen einen legalen Status verleihen. Im Moment ist es so, dass sie in Küchen, in Restaurants, als Putzkräfte usw. arbeiten, aber illegal.

In den ärmeren Vierteln von Tel Aviv ist die Anwesenheit der Flüchtlinge sozialer Sprengstoff.

Mit der Legalisierung würde man sie im ganzen Land verteilen um die Last aus den ärmeren Vierteln von Tel Aviv wegzunehmen. Dort ist ihre Anwesenheit sozialer Sprengstoff. Man wollte sie in Kibbuze und Dörfer integrieren, anstatt sie in unsichere Drittländer wie Ruanda oder Uganda abzuschieben.

Der Plan war, den den Flüchtlingen 3500 Dollar in die Hand zu geben und sie in ein Flugzeug nach Afrika zu setzen. Aber auch der oberste Gerichtshof Israels hat sich dagegen ausgesprochen.

Die Vorgeschichte

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Israel hatte mit der Abschiebung von fast 40'000 Flüchtlingen in afrikanische Drittländer wie Uganda oder Ruanda gedroht. Fast 20'000 hatten schon die schriftliche Aufforderung bekommen, binnen zweier Monate das Land zu verlassen. Danach drohte ihnen Gefängnis.

Die Regierung habe versucht, den ursprünglichen Plan umzusetzen. Aber aufgrund von «rechtlichen Zwängen und politischen Schwierigkeiten auf Seiten der Drittstaaten» sei es notwendig gewesen, einen anderen Weg zu finden. Deshalb die Einigung mit dem UNHCR, die internationalem Recht folge – und nun gemäss Netanjahu doch wieder zur Disposition steht.

Israel betrachtet die vor allem aus Eritrea und dem Sudan stammenden Flüchtlinge als illegale Einwanderer und bezeichnet sie als «Eindringlinge». Asylanträge wurden bisher nur in extrem seltenen Fällen gebilligt.

Wie geht es weiter?

Das ist das grosse Thema heute in den Medien. Die grosse Frage wird sein, welche westlichen Länder Flüchtlinge aufnehmen werden und ob Netanjahu mit mehr Details sowohl seine Koalitionspartner als auch die Bevölkerung im Süden Tel Avivs beruhigen kann, damit man sich einigen kann.

Wird das Abkommen noch zu Stande kommen?

Ich glaube nicht, dass es ganz vom Tisch ist. Ob man Details ändern wird, wird man sehen. Heute Morgen ist die Rede von Innehalten. Kein Mensch hat bisher davon gesprochen, dass es ganz beerdigt sei.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

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