Die spanische Regierung drückt bei der Aufrüstung aufs Tempo und möchte über 10 Milliarden Euro mehr für Verteidigung ausgeben. Noch im letzten Jahr war Spanien das Schlusslicht innerhalb des Verteidigungsbündnisses, wenn man Island ausser Acht lässt, das keine Armee hat. Einschätzungen zur überraschenden Wende von Historiker Carlos Collado Seidel von der Universität Marburg.
Warum kommt es in Spanien jetzt zu dieser Kehrtwende?
Carlos Collado Seidel: Die Ankündigung von Ministerpräsident Pedro Sánchez war durchaus überraschend. Nach den intensiven Debatten in den letzten Monaten hat man nicht damit rechnen können, dass Sánchez diesen Schritt macht.
Wie ist denn diese politische Debatte in Spanien in den letzten Monaten verlaufen?
Eine breite Mehrheit der Bevölkerung spricht sich für das Nato-Ziel von zwei Prozent für die Verteidigung aus. Pedro Sánchez ist aber auf die Mitarbeit von kleineren Parteien angewiesen, die sogar in seiner Regierung sind und ihn im Parlament unterstützen müssen. Diese Parteien waren bislang kritisch bis ablehnend.
Die spanische Geschichte seit der Demokratisierung ist die eines verlässlichen Partners gegenüber den europäischen und transatlantischen Mitstreitern.
Kann Ministerpräsident Sánchez das Vorhaben trotz der Ablehnung der kleineren Parteien durchbringen?
Sánchez wird wie schon in der Vergangenheit das Vorhaben nicht durch das Parlament bringen. Er wird die Mittel aus dem bestehenden Haushalt umwidmen müssen. Das ist das Entscheidende.
Wie vermittelt Pedro Sánchez der Bevölkerung, dass das Land mehr für das Militär ausgeben möchte?
Vor allem dadurch, dass sich Spanien als verlässlicher Partner zeigen will. Es ist eine Selbstverständlichkeit. Die spanische Geschichte seit der Demokratisierung ist die eines verlässlichen Partners gegenüber den europäischen und transatlantischen Mitstreitern. Da herrscht im Grunde in Spanien auch Einigkeit.
Eine Mehrheit der spanischen Bevölkerung steht positiv zu militärischen Angelegenheiten. Woher kommt das?
Seit 40 Jahren ist Spanien eine Demokratie, daher hat auch ein Generationenwechsel innerhalb des Militärs stattgefunden. Drei Viertel der Bevölkerung sehen das Militär als positiv oder gar sehr positiv. Der Bevölkerungsteil, der dem Militär kritisch gegenübersteht, liegt bei etwa 10 Prozent. Hier sind auch jene Parteien vertreten, die dem Verteidigungshaushalt kritisch gegenüberstehen. Das sind vor allem Linksaussen-Parteien oder nationalistische Parteien in den Regionen Katalonien und Baskenland.
Die spanischen Streitkräfte werden aber auch als ein Element der nationalen Identifikation oder der Identität wahrgenommen.
Spanien lebte während über 35 Jahren in einer Militärdiktatur unter dem Franco-Regime. Was für einen Einfluss spielt das?
Das spielt hier keine besondere Rolle. Natürlich fallen immer wieder vor allem pensionierte Offiziere mit durchaus befremdlichen Aussagen auf. Die spanischen Streitkräfte werden aber auch als ein Element der nationalen Identifikation oder der Identität wahrgenommen. Das mag beispielsweise in Deutschland auch historisch bedingt anders sein. Sie werden nicht primär oder nicht nur als Berufsverband wahrgenommen, die bestimmte Aufgaben übernimmt, sondern eben auch als Identität.
Das Gespräch führte Tim Eggimann.